Zerbst und Köthen

Warum muss ich bei dieser Stadt an Herbst denken, nur weil es sich reimt? Ja, es reimt sich, aber dieser Reim scheint Programm zu sein, wie im Herbst scheint mittlerweile das Leben aus dieser ehemals blühenden Stadt entwichen zu sein, die einst sogar mit Rothenburg ob der Tauber verglichen wurde. Heute hängen Ruinen und Reste alter Bebauung wie welke Blätter in den Straßenzügen.

 

Wir fahren von Coswig aus über Landstraße Richtung Zerbst, weil Emmi gerne mal zwichendurch anhalten möchte, und weil wir durch den Ort fahren möchten, der Hundeluft heißt. So nähern wir uns also von Norden der Stadt und gelangen gleich über das best erhaltendste Tor in der alten Stadtmauer, das Heidetor, direkt ins Zentrum. Zentrum? Es ist uns nicht auf Anhieb klar, ob es wirklich das Zentrum ist, aber uns fällt als erstes die Trinitatiskirche auf. Ein wunderschöner Bau, der gar nicht kirchentypisch aussieht, eher wie ein Theater oder Konzerthaus. Aber gleichzeitig sehen wir auch die Bebauung um die Kirche herum, die sich farblich harmonisch an die Kirche anschmiegt, aber überwiegend aus Plattenbauten besteht. Da war früher einmal Fachwerk, lesen wir später... und die Trinitatiskirche wurde am 16.4.1945 bis auf die Mauern vollkommen zerstört, wurde dann aber später wieder aufgebaut und dient heute als Gemeindezentrum.

 

Der 16.4.1945, kurz vor Kriegsende, und der Kommandant der Stadt wollte nicht kapitulieren, nach mehrfacher Aufforderung nicht, er hätte eine der schönsten Städte Deutschlands retten können. Hat er nicht, wie überhaupt die Nazis nicht auf der Welt waren, um etwas zu retten, sondern nur, um zu zerstören.

 

Von der Altstadt blieb nicht viel übrig. Gleich das nächste Mahnmal, kaum mehr als 50 Meter von Trinitatis entfernt: die Ruine der kolossalen St.Nikolaikirche, zwei der drei Türme stehen noch, ebenfalls Teile der Außenmauern und einige Säulen der Halle. Der Rest ist leer und durch die Löcher sieht man .... weitere Plattenbauten. Welch ein schräger, kaum fassbarer Gegensatz. 

 

Vor der Nikolaikirche an der Stirnseite des Marktplatzes thront das imposante Rathaus ... nicht mehr, aber die Rolandstatue von 1445 steht da noch, einsam, frierend wie wir auf dem kalten windigen leeren Marktplatz. Dahinter gleich wieder Plattenbauten.  Die östliche Seite des Marktes ist größtenteils neu bebaut und durchaus ganz verträglich und ansehnlich geworden.

 

Emmi und ich lassen den Markt hinter uns, ich will noch das Schloss sehen, in dem einst Katharina, die Große, Zarin von Russland, aufgewachsen ist. Dazu müssen wir zuerst eine neue verkehrsreiche Straße mit langer Ampelphase überqueren. Die vor uns liegende Fußgängerzone lockt uns nicht gerade, aber ein einziges Geschäft hat auf, ein Bäcker-Shop, in dem wir uns aufwärmen können, auf Klo gehen und einen Kaffee trinken. Es geht weiter, die Sonne zeigt sich kurz.

 

Wenig später auf der rechten Seite, die nächste zerstörte Kirche: St.Bartholomäus, wartet auf uns, die sieht wenigstens von außen noch halbwegs unversehrt aus, das Innere ist aber auch nicht mehr zu gebrauchen. Zerstört am 16.4.1945. Dagegen glänzen gegenüber die ehemaligen Kavaliershäuser, die als heutiges Rathaus dienen. Die Schlossfreiheit zeigt einem ein wenig das Gesicht des alten Zerbst. Wir lassen die Schlosswache links liegen und erreichen die Reste des ehemals riesigen Schlosses, es steht nur noch die Ruine eines einzigen Flügels, halb verfallen, umzäunt auf einer großen, durchnässten Wiese. Der Rest zerbombt am 16.4.1945.

 

Wir gehen denselben Weg zurück, schnell, weil Emmi äußerlich und innerlich kalt ist. Wir verlassen Zerbst und finden unseren Weg zur Elbe, überqueren diese mit einer Gierfähre kurz vor Aken, halten vorher noch einmal an, um uns die knorrigen Bäume der Elbauenlandschaft anzusehen und fahren weiter bis nach Köthen, wieder einer alte ehrwürdigen Stadt mit einem Schloss, in dem Johann Sebastian Bach mehrere Jahre Hofkapellmeister gewesen war und in der Samuel Hahnemann 1821 bis 1834 wohnte und viele seiner Schriften zur Begründung der Homöopathie niederschrieb.

 

Die Sonne scheint, aber der Wind bläst sibirisch und so durchschreiten wir zügig Teile der Altstadt. Wir sehen den Markt mit der monumentalen Kirche St.Jakob und dem Rathaus, sparen uns aber den Abstecher zum Schloss selbst. Was auffällt: Hier ist weit weniger kaputt gegangen und die Neubauten im Kern fügen sich recht ansprechend und glücklich ins Stadtbild ein, jedenfalls gelungener als in Zerbst.

 

Zurück fahren wir über unterirdisch schlechte Straßen über das Land zurück bis zur allgegenwärtigen Autobahn A9 und befahren diese bei Anschlussstelle Dessau-Süd. Wir halten nicht mehr an. Wir wollen nachhause, wir wollen eine Kanne heißen Ingwertee.

 

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