Heute bringe ich meiner Mama etwas mit, denn so ein Besuch will ja gestaltet werden. Ich halte einen geblümten Karton in der Hand, darin ein selbstgebasteltes Memoryspiel, das ich als 15-Jährige mit meinem damaligen Freund gebastelt habe. Zutaten waren 2 gleiche Fernsehzeitschriften, sehr dicker Karton und eine Schablone. Das Ergebnis war ein Memory mit mindestens 50 Doppelmotivkarten. Wurstbrote, Lolek und Bolek, Kussmünder, eine Walter Scheel Karikatur, Kreuzworträtselausschnitte, diverse Skifahrer und anderes Zeugs, das sich so in einer Hör Zu zur Winterzeit befindet. Jahrelang war es in unserer Familie in Gebrauch, auch als die Freundschaft zu Peter schon Geschichte war. Das Spiel ist bis heute erstaunlich gut erhalten geblieben.
Wir suchen uns einen Platz im Gemeinschaftsraum, ich sehe einen freien Stuhl und will mich gerade setzen, als ich in die blitzenden Augen einer weißhaarigen Dame blicke, die sich auch auf dem Weg zum Tisch befindet. Ich schlucke und frage höflich "Ist der Platz noch frei?" "Nein, da sitzt meine Tasche!", antwortet sie schneidend. So geht das heute schon den ganzen Tag, meint meine Mutter.
Nun, wir finden zwei andere Plätze und ich öffne den Karton. "Kennst du das noch?" Mama grübelt. Ich zeige ihr die verschiedenen Bilder und wir suchen erst mal die Paare zusammen. "Das habe ich mal gebastelt. Weißt du noch, mit wem?" "Mit Peter natürlich." kommt es wie aus der Pistole geschossen. Sie hat Peter immer geliebt und Liebe bleibt und trotzt der Demenz.
Wir spielen los, nachdem wir ungefähr 25 Paare ausgesucht und schön ordentlich ausgelegt haben. Am Anfang stelle ich mich bewusst ein wenig dusselig an, aber dann kommt sie in Fahrt und gewinnt tatsächlich die erste Runde. Ich fordere Revanche und wir beziehen eine alte Dame ins Spiel mit ein, die neben mir sitzt und kommentiert und schließlich zaghaft und elend schlecht mitspielt. Die zweite Runde geht an mich. Unterdessen hat das Gezanke am Nebentisch wieder angefangen.
Damen wuseln hin und her, als würden sie Die Reise Nach Jerusalem spielen. Sie stehen und zögern, eiern um die freien Stühle, bis die Dame mit dem Blitz im Blick eine andere Dame anfährt "Das ist mein Stuhl!" Die so Gescholtene gibt nicht auf und widerspricht. Nun wird Frau Blitzblick laut "Wisch du dir erst mal deinen Mund ab!" In der Sekunde muss Mama lachen und es platzt aus ihr raus - die vermeintliche Absicht von Frau Blitzblick sprachlich zu ergänzen: "....damit ich dir in der Zeit den Stuhl wegnehmen kann."
Mama hat heute alle Runden gewonnen.