Oderbruch
Im Frühjahr haben wir uns eingebildet, ein Ferienquartier im Oderbruch finden zu können. Eine Seite nach der anderen wurde im Netz aufgerufen und wieder weggeklickt, denn andauernd sprangen einem geblümte Sofas entgegen oder gar Schlimmeres; dunkles und sehr deutsches Möbelgehölz, Knick in den Kopfkissen...... alle Angebote, die diese Scheußlichkeiten nicht aufwiesen, waren allerdings schon weggebucht. Wir landeten also Gott sei Dank hier in der Schorfheide und die ist nicht weit entfernt vom Oderbruch. Wir wollten dann doch mal schauen, wie es ausgesehen hätte. Oderberg ist ein naheliegender Ort, das Tor zum Oderbruch. In der Reiseliteratur finden sich vollmundige Beschreibungen von einem Städtchen, das an einen Berghang geklebt wäre. Das klingt romantisch und verwunderlich, denn wer erwartet hier schon Berge? Hat alles mit der Eiszeit zu tun. Dieses erstaunliche Ding, das für so viele Höhen, Tiefen, Verwerfungen und Seen verantwortlich war. Wir waren also wirklich guten Willens, dem Ort Schönes abzugewinnen. Ehrlich! Kaum betraten wir die erste schmale Straße, schluckend und kopfschüttelnd, aber noch schweigend, stieg eine Frau zu ihrem Mann ins Auto. "Das war mal so ein netter Ort, aber davon ist ja nichts mehr übrig! Dieser Leerstand überall!" Wir sahen eine Schlachterei, einen Bäcker, ein Café - alle leergeräumt, verlassen, abgeblättert, ausgeblichen. Vor einem Laden mit undefiniertem Angebot baumelten hilflos Schwimmringe (schickt man hier die Kinder zum Baden in die Oder?), vor einem Angelgeschäft wurden Maden und Würmer auf einer Tafel angepriesen, im Schaufenster des Bestattungsunternehmers stand eine geblümte Urne, in den anderen ehemaligen Schaufenstern warteten Plastikblumen auf.... ja, auf was? Ich mochte nicht mal fotografieren. Nur als ich die Satelitenschüssel vor dem Kirchenfenster sah, konnte ich nicht anders.
In Bad Freienwalde wurde es etwas besser. Eine Frau, deren Job es war, den Touristen die Kirche zu erklären, freute sich doll über unseren Besuch. Als hätte sie darauf gewartet, endlich jemandem sagen zu können, dass das Taufbecken aus dem 13. Jahrhundert sei. Sie sagte das ganz plötzlich direkt hinter mir und über meine Schulter. Sie muss sich angeschlichen haben, so als hätte sie Angst gehabt, mich gleich wieder zu verscheuchen.
Während Oderberg nun doch eher so etwas wie das Wartezimmer vor dem Tor zum Oderbruch, so ist Bad Freienwalde definitiv das eigentliche Tor, denn kaum aus der Stadt heraus, erstreckte sich vor uns das flache Land: 80.000 ha potenzielles Überschwemmungsgebiet. Ich kannte nur die Bilder der damaligen Oderflut, ich sah aus dem Wasser ragende Bäume vor meinem inneren Auge, halb versunkene Dörfer, Nebelschwaden, Sumpf, Morast. Nun sah das ganze recht harmlos aus, unspektakuläre Dörfer hingetupft zwischen weiten Wiesen und Feldern, durch die sich die Straßen mal windend, mal schnurstracks zogen. Fast ein wenig langweilig. DIe Häuseransammlungen hießen reetz, ranft, küstrinchen, mal mit Alt, mal mit Neu als Vorsilbe. Unser Ziel war der Rand, das Ende, die Grenze, die Oder. Da, wo es nicht weiter geht, muss es doch besonders sein. Oder? Am Rand residiert ein Theater, deshalb auch Theater am Rand genannt. Da muss doch etwas ausstrahlen. Das Navi schickte uns in eine Sackgasse, eine endlos gerade Allee, die direkt in den Ort Zollbrücke führte. Sackgasse! Wunderbar. Es ist wirklich das Ende. Wir wollten schon immer einmal Fotos vom Ende machen. Direkt gegenüber vom Parkplatz lag es also, das Theater. Es sah ein wenig aus, wie eine Mischung aus Hundertwasserhaus und Bauspielplatz. Das Gelände ist außerhalb der Spielzeiten leider nicht zu betreten, insofern konnten wir es nur von außen betrachten. Zweihundert Meter weiter gab es ein paar Wohnhäuser und zwei Gastrobetriebe, das Gasthaus Zollbrücke und die Dammeisterei. Da wir zwei Glückspilze sind, hatten beide Ruhetag. So blieb mehr Zeit für den Rest: das Fluttor, das den Blick zwischen den Deichen zur Oder frei gab, einen alten verrosteten Kutter, der dort vor sich hindöste, die Oder selbst, die eigentlich - wie wir fanden - genau wie die Elbe aussah. Vor uns zog ein kleines Minihausboot vorbei, Großeltern beaufsichtigten ihren Enkel, ein Fahrradfahrer stellte sein Fahrrad ab. Vor der Weiterfahrt machten wir einen letzten Abstecher Richtung Käserei, beobachteten die Pferde, Ziegen und Störche auf der Weide. Schwalben umschwalbten die Ziegenherde und zwei halbstarke Pferde verscheuchten die Störche, und wir beide verscheuchten uns selbst Richtung Parkplatz, wo unser Auto stand, das bereits überlegte, wo es nun hinfahren sollte.
"Schiffshebewerk in Niederfinow. Alles klar, Auto? Da geht es jetzt hin!" "Das müsst ihr nicht mir sagen, sondern dem Navi!" Ich versicherte mich vorher noch, dass ich im Navi die Routenoption
"Straßen, die Theodor Fontane ging, meiden!" auch wirklich aktiviert hatte. In wirklich jedem Reiseführer steht das Schiffshebewerk als Attraktion beschrieben, was einem schon mal den Besuch
verleiden könnte. Aber wenn wir auf dem Weg nachhause da eh vorbeikommen, nehmen wir das mal mit. Wir nahmen es natürlich nicht wirklich mit, denn dazu ist es deutlich zu groß, aber wir schauten
es uns an und begegneten dort den ersten echten Touristenrudeln. Parkplatz mit Gebühr, WC mit Gebühr, Eintritt. So gehörte sich das! Dort stand aber nicht nur ein Hebewerk, sondern gleich zwei
von der Sorte. Das Alte sollte durch ein noch größeres abgelöst werden. Für uns war das Alte eigentlich schon groß genug. Ein bestaunenswertes Ungetüm aus Stahl und Stahlseilen, das Schiffe über
eine Höhe von 36m anheben konnte. Zu Demozwecken wurden ein paar Schiffe immer rauf- und runtergefahren samt Touristen, die keine Angst vor Gedanken an reißende Stahlseile im Besonderen oder vor
Höhe im Allgemeinen hatten. Wir versuchten irgendwie dieses monumentale Bauwerk in unsere Köpfe und unsere Knipskisten zu bekommen. Wer mehr über Fakten wissen möchte, der lese etwas dazu in
Wikipedia.