Nun war ich mit dir in Italien,
die Flugangst ist schon längst passé.
Wir zahlten viel für die Fressalien,
die Füße tun noch immer weh!
Venedig blättert, modert, sinkt,
alles ist furchtbar teuer,
der Fischmarkt lockt, aber er stinkt,
Fisch ist mir nicht geheuer.
Die Gassen sind mit Menschen voll,
es schiebt, es kauft, es knipst.
Wo ich hier bloß noch stehen soll-
bin mittags schon beschwipst.
Wir biegen ab und tauchen ein
in die mattbunten Gassen.
denn will man in Venedig sein,
muss man das Zentrum lassen.
Links liegen lassen,
sich verlaufen,
der Stadtplan hat gelogen.
Wir sind um jede Ecke drei-,
ach was, fünfmal gebogen.
Ich hab bewundert und geseufzt
und guten Wein getrunken
und später hat der Fischmarkt dann
auch gar nicht mehr gestunken.
Emmi
... nicht Raumtemperatur, sondern seit Freitag meine Dauerkörpertemperatur. Lesen geht nicht, denn die Augen sind zu müde. Auf dem Sofa liegen, umgeben von Taschentüchern, Teebechern in
verschiedenen Farben und Salbeibonbons. Ich lasse mich vom Fernseher berieseln, denn wenn ich das Ding murmelleise schalte, kann ich gut dabei einschlafen. Ich hab jetzt alles durch. Das ganze
verschissene Fernsehprogramm. Mir wird geraten, ein Deo zu kaufen, das einen 48 Stunden Geruchsschutz anbietet und ich frage mich, ob die superclean wirkende
19-Jährige da im Spot vorhat, sich 2 Tage nicht zu waschen. Übertroffen wird der Wahn durch das Anpreisen einer antibakteriellen Sagrotan-Duschlotion, die jeglichen Körpergeruch unterbindet.
Toll, dann riechen nichtmal mehr die Schultern nach einem selbst! Jeder zweite Werbespot bewirbt ein Shampoo und ich habe das Gefühl, dass sämtliche Frauen in Deutschland massive Haarprobleme
haben. Eine Familie namens Geissen fratzt mich an. Dummdreist prollig. In diversen Seifenopern eiern perfekt gestylte junge Menschen mit hohlen Gesichtern durch die Szenerien und verzweifeln an
ihren Liebesproblemen, dazwischen immer wieder Asyldramen, hässliche Politikergesichter, Stacheldraht, Bomben...
Dann reißt mich ein Wort aus dem Halbschlaf; Wiedehopf! Ich weiß nicht warum, aber ich stopfe mir ein Kissen in den Rücken und bin plötzlich aufmerksam. Da läuft eine kleine Dokumentation über
einen Rentner in Österreich, der seine ganze Zeit damit verbringt, diesen ungewöhnlichen Zugvogel in Österreich wieder heimisch zu machen. Seit Jahren baut er Nistkästen, filmt deren Innenleben,
zieht verwaiste Wiedehopfbabies auf. Sein Rhythmus ist der der Jahreszeiten. Er ist geduldig und ruhig. Er weiß genau, was er tut. Er ist glücklich. Er ist erfolgreich. Er sitzt stundenlang still
da und beobachtet. Der Mann und sein Tun berühren mich sehr. Er hat seine Aufgabe gefunden und bearbeitet dieses kleine Fleckchen unermüdlich und ich wünschte, mehr Menschen auf dieser Welt
würden verstehen, was wichtig ist.
Emmi
BIM BOM BAM.
„Das Ding ist ja, sobald du unterschrieben hast, ist das ein gültiger Vertrag.“ „Oh meine Lippen sind so trocken, kaputt, ey!“
BIM BOM BAM.
Es quietscht (So ein kleiner Klappmülleimer unter dem Fenster, an den man wegen der Knie des Nachbarn oft nicht dran kommt.) Es knistert (Brötchentüte von vorn.) Eine Frau nuschelt in ihr Handy. Schachteln werden in einer Tasche verpoltert.
„Guten Abend, meine Damen und Herren, die Regionalbahn Schleswig-Holstein begrüßt Sie recht herzlich auf der Fahrt nach Lübeck mit Halt in Ahrensburg, Bad Oldesloe und Reinfeld. Nächster Halt. Ahrensburg.“ Ein Handy klingelt. „Nichts, nur ein Hotel, ne Tanke.“ … „Mit Oberrängen so wie in der Sporthalle.“
„Die Fahrkarten bitte. Danke. Hallo. Danke. Dank schö. Vielen Dank. Dank schö“. Handy klingelt. Frau trinkt Wasser, wischt sich den Mund ab. „.. da habe ich megageheult...“ Reißverschlussgeräusche – zweimal am Rucksack. Ratsch ratsch gleich lang. Notizbuchblättern – mein Gegenüber. Ein Kind hustet. „...Weil ich ein cooler Typ bin.“ Papierkorb quietscht. „Ne, ist leer!“ „Hast ne Antwort von ihm bekommen?“ „Von wem?“ „Er meinte nein nein nein. Ich sagte doch doch doch!“ Papierkorb quietscht. Das Notizbuch raschelt beim Umblättern. „Wir können auch zum Kiosk gehen und was holen.“ Kind hustet.
„.. gegessen, war ganz lecker, halt Griechisch, fette Gyrosplatte, Kroketten, tellerweise Pepperoni. Griechische Lasagne, das war einfach Gyros mit Käse überbacken.“ Kind redet (unverständlich). „Nächster Halt: Ahrensburg. Bitte in Fahrtrichtung links aussteigen!“ Ein Rucksack reibt sich an einer Jacke. Im Hinausgehen, leiser werdend: „...Leider auch Averna.“ „Hast du den getrunken?“ „Leider ja.“
BIM BOM BAM.
Ein Mann schnäuzt sich. Ein anderer fängt an, schwer zu atmen. Frau schnäuzt sich. „Lara! Jetzt sei mal ruhig!“ Knistern (Einkaufstüte) Frau ins Handy: „Warte mal ganz kurz!“ Der Mann schnarcht jetzt leicht. Mir gegenüber das Notizbuch wird umgeblättert. Kind ruft „Nein!“. Mann hustet. Frau schnäuzt sich. Mann gegenüber gähnt kurz. „AUA!“ schreit das Kind. Eine Lehne klappt runter, der Papierkorb quietscht. Mann hustet. Ein entgegenkommender Zug rauscht ran und wieder weg. Eine Aktentasche klappt zu, dann klappen die Brillenbügel, dann klappt das Etui. Klapp Klapp Klapp. Frau schnäuzt. Spanisches vom Zwischenraum unterhalb der Treppe. Papierkorb klappt. Spanisch wird lauter. Der Zug bremst ab. Der Zug wird leiser. Eine Wasserflasche zischt, vor mir das Gemurmel ist das erste Mal zu hören. Lamento Espagnol aus dem Zwischenraum unterhalb der Treppe. Eine Zeitung wird umgeschlagen und zusammen gefaltet. Eine Brötchentüte knistert. Mein Gegenüber gähnt mit leichter Tonunterstützung. Husten von hinten. Husten von vorn. Taschenwühlgeräusche. Schlüsselbundgeklirr. Reißverschlussratschen. Husten von hinten. Kurz und trocken, wie jedes Husten hier. Die Spanierin lacht aus dem Zwischenraum unterhalb der Treppe. „Wo wart ihr?“ fragt das Kind. Die Mutter antwortet gedämpft, dass man sie nicht verstehen kann. Nun wieder Spanisch aus dem Zwischenraum unterhalb der Treppe. Kurz Musik. Eine Handyfanfare. „Nächster Halt: Bad Oldesloe!“
Ich muss aussteigen und zwar in Fahrtrichtung links.
Das Bett ist geknickt. Darauf liegt meine Mutter, halb aufrecht, auch geknickt, in der Hüfte. Ihre Augen sind halb geschlossen, der Mund halb offen. Über ihr thront der Bettbügel für den Fall, dass sie sich hochziehen könnte. Umgangssprachlich heißt der auch Bettgalgen. Sie kann sich aber nicht hochziehen. Als ich komme, hat sie dreimal einen kräftigen Schluckauf. Für einen Moment sieht ihr Gesicht aus als wollte sie sagen: Mein Gott! Ist ja schlimm. Nun hör aber mal auf. Auch ein leichtes Grinsen vermeine ich zu sehen. Aber sie kann nichts mehr sagen. Und das Grinsen wünsche ich mir nur.
An der Kopfseite des Bettes hängt eine Collage mit Bildern von mir und meiner Schwester als wir noch klein waren und meine Mutter jung. An der Längswand des Bettes hängen auch Kinderbilder, aber von ihren Enkeln.
Links neben ihrem Bett steht ein Nachtschrank. Darauf liegen oder stehen:
In der obersten Schublade befinden sich 2 Kämme in hellbraun, dazu eine Flasche 4711, ein anderes Parfüm und eine kleine angebrochene Tafel Schokolade. Das offene Fach darunter beherbergt Feuchttücher, Creme und 2 Windeln. Hinter der Tür des Nachtschrankes werden Fotoalben aufbewahrt.
Neben dem Nachtschrank steht eine altmodische Stehlampe aus Holz, der Schirm ist beige und an den Rändern trägt er braune Fransen. Auf dem Boden direkt an der Ecke des Nachtschranks stehen die Hausschuhe meiner Mutter bereit zum Reinschlüpfen und Weggehen, aber meine Mutter kann nicht weggehen. An der Fußseite des Bettes steht ein Stuhl, davor ihr Rollstuhl. Zwischen diesen Stühlen und der Wand folgt nur noch der Kleiderschrank, auf dem oben auf der Ecke noch ein paar Familienbilder aufgereiht sind. Das ist ihr Reich.
Nebenan im anderen Bett stöhnt ihre Mitbewohnerin matt und leise, aber periodisch exakt wie eine Uhr, die nicht mehr will. Zu ihr gehören ein paar dünne Arme und ein eingefallenes Gesicht ohne Zähne.
Ich halte meiner Mutter ein Stück Niederegger-Marzipan vor den Mund ohne Hoffnung, dass sie darauf reagiert, aber sie öffnet den Mund und nimmt das Stück an und fängt an, darauf zu lutschen.
Richtig kauen kann sie nicht mehr. Wie ein kleiner Vogel bei der Fütterung, denke ich.
Leo
Was braucht man denn im Urlaub? Sensationen, die klein genug sind, dass sie einen nicht durchschütteln, sondern einfach erfreuen. Sensationen, die leise daherkommen und wenn sie dann auch noch
wenige Kilometer auseinanderliegen, wird das was. Sensationen, die eigentlich normal sind, uns nur abhanden gekommen sind im Alltag, bei der Suche nach Fremdheit, während der Berieselung mit
exotischen Bildern..... Mallorca, die Malediven, ein Viertausender, das komplett-rundum-Sorglospaket mit Wellness, Exotik, tausend Flugkilometern und fassungslosem Staunen. Was ist da schon ein
Fuchs im Abendlicht, eine Industrieruine am Treidelkanal, ein See, dessen Mittelpunkt ein Seeadler zu sein scheint, der der Herrscher über Grauganspanik und Blesshuhnhysterie ist? Ein Hase auf
der Waldlichtung ist märchenhaft, die allgegenwärtigen Kraniche immer wieder elegant, Begegnungen mit berlinernden Einheimischen, die uns in die richtige Richtung schicken erfrischend, die
Feldlinien, ach immer wieder die Feldlinien......
Ich fühle gerade, dass mich sensationslose Schönheit und ursprüngliche Natur heil machen.
Leo fällt morgens um 5 aus dem Bett, schaut aus dem Fenster und staunt. Nebelbänke stehen über den Feldern. Raus, Richtung Sonnenaufgang! Wir stapfen den Feldweg entlang und sind begeistert, denn Morgenrot, Nebel und Vögel ergeben zusammen einen unwiderstehlichen Kitschmix, der festgehalten werden muss. Vögel kennen keine Morgenmuffelei. Sie schwirren und zwitschern, kreisen und rufen, schweben und beobachten, schreiten und trompeten (wenn sie Kraniche sind).
Der Tag wird heiß - sehr heiß. Wir beschließen, nachdem wir die Morgenbilder gesichtet haben, in den schattigen Plagefenn zu gehen. Das ist ein Moor im Biosphärenresertvat Schorfheide Chorin, seit hundert Jahren Naturschutzgebiet und von Wald umgeben. Rein darf man nicht, aber rumgehen und reinsehen geht. Schwitzend bekommen wir eine Ahnung vom Moor, von all den seltenen Tieren, die hier eine sichere Zuflucht und in all der Unordnung herrliche Verstecke gefunden haben, so dass sie nicht zu sehen sind. Wir sehen also keinen Schwarzstorch, keinen Trauerschnäpper, keinen Kranich, keinen Wespenbussard..... Allerdings ist es dermaßen einsam und still, dass man die Ohren weit aufsperrt und nun das Rascheln, das Knacken, das Klopfen der unsichtbaren Tiere hört. Wir haben das deutliche Gefühl, dass wir beobachtet werden. Fast ist es ein wenig unheimlich.
Wir treten aus dem Wald - 36 Grad und schreien nach Siesta. Die heißeste Zeit des Tages verbringen wir im Bett, um abends noch einmal den Feldweg des Morgens zu gehen. Endlich ist die Luft nicht mehr flirrend-unerträglich.
Ein Gewitter wäre großartig, aber wir hoffen vergebens. Ich setze mich in der Finsternis auf die Holztreppe, um eine letzte Zigarette zu rauchen und dabei in den klaren Sternenhimmel zu träumen. Leo will mir Gesellschaft leisten, verschätzt sich und sackt in äußerster Selbstbeherrschung tonlos und klaglos rechts in den Rosenbusch. Sein leuchtend weißes Hemd rauscht einfach nach unten und macht ein dumpfes Geräusch. Er ist ein Held!
P.S: Hätte ich nur den letzten Absatz der AGB gelesen.
Im Frühjahr haben wir uns eingebildet, ein Ferienquartier im Oderbruch finden zu können. Eine Seite nach der anderen wurde im Netz aufgerufen und wieder weggeklickt, denn andauernd sprangen einem geblümte Sofas entgegen oder gar Schlimmeres; dunkles und sehr deutsches Möbelgehölz, Knick in den Kopfkissen...... alle Angebote, die diese Scheußlichkeiten nicht aufwiesen, waren allerdings schon weggebucht. Wir landeten also Gott sei Dank hier in der Schorfheide und die ist nicht weit entfernt vom Oderbruch. Wir wollten dann doch mal schauen, wie es ausgesehen hätte. Oderberg ist ein naheliegender Ort, das Tor zum Oderbruch. In der Reiseliteratur finden sich vollmundige Beschreibungen von einem Städtchen, das an einen Berghang geklebt wäre. Das klingt romantisch und verwunderlich, denn wer erwartet hier schon Berge? Hat alles mit der Eiszeit zu tun. Dieses erstaunliche Ding, das für so viele Höhen, Tiefen, Verwerfungen und Seen verantwortlich war. Wir waren also wirklich guten Willens, dem Ort Schönes abzugewinnen. Ehrlich! Kaum betraten wir die erste schmale Straße, schluckend und kopfschüttelnd, aber noch schweigend, stieg eine Frau zu ihrem Mann ins Auto. "Das war mal so ein netter Ort, aber davon ist ja nichts mehr übrig! Dieser Leerstand überall!" Wir sahen eine Schlachterei, einen Bäcker, ein Café - alle leergeräumt, verlassen, abgeblättert, ausgeblichen. Vor einem Laden mit undefiniertem Angebot baumelten hilflos Schwimmringe (schickt man hier die Kinder zum Baden in die Oder?), vor einem Angelgeschäft wurden Maden und Würmer auf einer Tafel angepriesen, im Schaufenster des Bestattungsunternehmers stand eine geblümte Urne, in den anderen ehemaligen Schaufenstern warteten Plastikblumen auf.... ja, auf was? Ich mochte nicht mal fotografieren. Nur als ich die Satelitenschüssel vor dem Kirchenfenster sah, konnte ich nicht anders.
In Bad Freienwalde wurde es etwas besser. Eine Frau, deren Job es war, den Touristen die Kirche zu erklären, freute sich doll über unseren Besuch. Als hätte sie darauf gewartet, endlich jemandem sagen zu können, dass das Taufbecken aus dem 13. Jahrhundert sei. Sie sagte das ganz plötzlich direkt hinter mir und über meine Schulter. Sie muss sich angeschlichen haben, so als hätte sie Angst gehabt, mich gleich wieder zu verscheuchen.
Während Oderberg nun doch eher so etwas wie das Wartezimmer vor dem Tor zum Oderbruch, so ist Bad Freienwalde definitiv das eigentliche Tor, denn kaum aus der Stadt heraus, erstreckte sich vor uns das flache Land: 80.000 ha potenzielles Überschwemmungsgebiet. Ich kannte nur die Bilder der damaligen Oderflut, ich sah aus dem Wasser ragende Bäume vor meinem inneren Auge, halb versunkene Dörfer, Nebelschwaden, Sumpf, Morast. Nun sah das ganze recht harmlos aus, unspektakuläre Dörfer hingetupft zwischen weiten Wiesen und Feldern, durch die sich die Straßen mal windend, mal schnurstracks zogen. Fast ein wenig langweilig. DIe Häuseransammlungen hießen reetz, ranft, küstrinchen, mal mit Alt, mal mit Neu als Vorsilbe. Unser Ziel war der Rand, das Ende, die Grenze, die Oder. Da, wo es nicht weiter geht, muss es doch besonders sein. Oder? Am Rand residiert ein Theater, deshalb auch Theater am Rand genannt. Da muss doch etwas ausstrahlen. Das Navi schickte uns in eine Sackgasse, eine endlos gerade Allee, die direkt in den Ort Zollbrücke führte. Sackgasse! Wunderbar. Es ist wirklich das Ende. Wir wollten schon immer einmal Fotos vom Ende machen. Direkt gegenüber vom Parkplatz lag es also, das Theater. Es sah ein wenig aus, wie eine Mischung aus Hundertwasserhaus und Bauspielplatz. Das Gelände ist außerhalb der Spielzeiten leider nicht zu betreten, insofern konnten wir es nur von außen betrachten. Zweihundert Meter weiter gab es ein paar Wohnhäuser und zwei Gastrobetriebe, das Gasthaus Zollbrücke und die Dammeisterei. Da wir zwei Glückspilze sind, hatten beide Ruhetag. So blieb mehr Zeit für den Rest: das Fluttor, das den Blick zwischen den Deichen zur Oder frei gab, einen alten verrosteten Kutter, der dort vor sich hindöste, die Oder selbst, die eigentlich - wie wir fanden - genau wie die Elbe aussah. Vor uns zog ein kleines Minihausboot vorbei, Großeltern beaufsichtigten ihren Enkel, ein Fahrradfahrer stellte sein Fahrrad ab. Vor der Weiterfahrt machten wir einen letzten Abstecher Richtung Käserei, beobachteten die Pferde, Ziegen und Störche auf der Weide. Schwalben umschwalbten die Ziegenherde und zwei halbstarke Pferde verscheuchten die Störche, und wir beide verscheuchten uns selbst Richtung Parkplatz, wo unser Auto stand, das bereits überlegte, wo es nun hinfahren sollte.
"Schiffshebewerk in Niederfinow. Alles klar, Auto? Da geht es jetzt hin!" "Das müsst ihr nicht mir sagen, sondern dem Navi!" Ich versicherte mich vorher noch, dass ich im Navi die Routenoption
"Straßen, die Theodor Fontane ging, meiden!" auch wirklich aktiviert hatte. In wirklich jedem Reiseführer steht das Schiffshebewerk als Attraktion beschrieben, was einem schon mal den Besuch
verleiden könnte. Aber wenn wir auf dem Weg nachhause da eh vorbeikommen, nehmen wir das mal mit. Wir nahmen es natürlich nicht wirklich mit, denn dazu ist es deutlich zu groß, aber wir schauten
es uns an und begegneten dort den ersten echten Touristenrudeln. Parkplatz mit Gebühr, WC mit Gebühr, Eintritt. So gehörte sich das! Dort stand aber nicht nur ein Hebewerk, sondern gleich zwei
von der Sorte. Das Alte sollte durch ein noch größeres abgelöst werden. Für uns war das Alte eigentlich schon groß genug. Ein bestaunenswertes Ungetüm aus Stahl und Stahlseilen, das Schiffe über
eine Höhe von 36m anheben konnte. Zu Demozwecken wurden ein paar Schiffe immer rauf- und runtergefahren samt Touristen, die keine Angst vor Gedanken an reißende Stahlseile im Besonderen oder vor
Höhe im Allgemeinen hatten. Wir versuchten irgendwie dieses monumentale Bauwerk in unsere Köpfe und unsere Knipskisten zu bekommen. Wer mehr über Fakten wissen möchte, der lese etwas dazu in
Wikipedia.
Die Wohnung ist wunderbar - auf sehr angenehme Weise altmodisch. Die Drehlichtschalter an den Wänden erinnern mich an die Wohnung meiner Uroma und wie bei ihr auch, liegt unter der bestickten
Tischdecke eine Moltonauflage, die das Sitzen am Tisch und vor allem das Aufstützen der Ellenbogen komfortabel macht (Obwohl Oma das ausdrücklich untersagt hatte). Die Bettwäsche ist Haut - und Augenschmeichler zugleich, ebenso wie alle anderen Dinge, mit denen die Wohnung ausgestattet
ist. Es gibt nichts Überflüssiges und trotzdem ist es behaglich, weil die wesentlichen Dinge von ausgesprochen guter Qualität sind. Gedöns fehlt, dafür stehen Blumen aus dem Hausgarten auf dem
Tisch, fein ausgewählte Literatur liegt auf den Balken im Schlafbereich. Was will man mehr? Einen Garten vielleicht? Bitte, den gibt es hier auch. Ein Biogarten ohne Chaos, wildes Blühen ohne
Wildwuchs, gezähmte und wohldurchdachte Choreographie; Lavendel, Katzenminze, Sonnenhut, Disteln, Mohn, Kräuter in der Kräuterschnecke, Rosen, winzige gefüllte Nelken und immer wieder
zwischendrin die Wilde Möhre. Sitz - und Liegemöglichkeiten findet man überall und sogar eine Feuerstelle. Der Clou ist aber die überdachte und komplett eingerichtete Außenküche. Hier mischen
sich Toskanafeeling mit Campingplatzerinnerungen - vom Allerfeinsten; trockenes Kochen bei Regenguss mit Blick auf Blüten im abendlichen Gegenlicht ist hier möglich.
Dann dieser unaufdringliche Service;
Man fragt, ob man hier auch Eier von den hauseigenen Hühnern bekommen könnte und prompt liegen gefühlte 4 Minuten später 10 Eier im Karton auf der Treppe, man wünscht sich 2 weitere Wassergläser und auch die befinden sich wenig später an diesem Ort, dem ich mittlerweile Nikolausstiefelkräfte zuschreibe.
Trotz all dieser schönen Umstände muss man ja mal die Nase vor die Tür stecken und nachsehen, wo man sich denn eigentlich hier befindet. Ich meine, was sich in der allernähesten Umgebung so tut und auftut an Möglichkeiten. Ein erster Spaziergang führt uns einen Feldweg entlang, der so dermaßen üppig mit Wegwartenblau gesäumt ist, wie wir es noch nie gesehen haben. Danach probieren wir einen Kopfsteinpflasterweg gleich hinter dem Haus. Niemand begegnet uns, wir werden nur von einer Katze beobachtet, die rechts des Weges erfolglos versucht, sich in der bunten Wiese zu verbergen. Gingen wir den Weg 5 Kilometer weit, kämen wir beim Kloster Chorin an. 5 Kilometer dauern für zwei Dauerknipser allerdings viel zu lange, so beschließen wir, mit dem Auto hinzufahren. Die Ausmaße des Parkplatzes lassen vermuten, dass ein Ausflugsziel vor uns liegt, das mit IKEA gleichgestellt ist, oder mit einem Freizeitpark. Unser Auto ist aber das Einzige.....Wir besichtigen also die schöne Backsteinhülle - innen ist so gut wie nichts mehr vorhanden. Muss ja nicht. Die Fassade und der Park mit den uralten und besonderen Bäumen beeindrucken ausreichend.
Wenn man früh am Morgen mit dem Kaffeebecher in der Hand Therapeutisches Chicken Watching im Biogarten betreibt, während man nebenbei die Kraniche trompeten hört, wenn der Liebste noch schlummert und im Bad ein roter Sessel nebst einem Kühlschrank steht, wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, die nächste Mahlzeit wieder in der Gartenküche zu brutzeln - mit Blick über Blüh und Bunt und Kraut und Rüben und Gacker und Flatter, dann ist man genau am richtigen Ort.
Als ich komme, sitzt sie gerade bei der Fußpflege und strahlt mich an. "Jetzt bin ich wieder gut für fünf Kilometer!" Ich muss auch erst lachen, aber dann habe ich ein Bild vor Augen, auf dem sie
mit ihrem Gehwagen kilometerweit durch die Stadt irrt.
Ich radiere das Bild weg und gehe mit ihr in den Innenhof. Niemand sitzt hier. Alle Bewohner ziehen es vor, sich drinnen schweigend gegenüber zu hocken.
Ich packe ein kleines Puzzlespiel aus. Lauter bunte Kugeln müssen zu einem Dreieck gelegt werden. Es gibt viele Farbvorlagen mit unterschiedlichen
Ausgangssituationen, die man dann ergänzen muss. Leider fand ich die total unbrauchbar, denn man bräuchte mindestens eine Lupe, um alles erkennen zu können. Also habe ich die Form mit den
Aushöhlungen fotokopiert und mit Buntstiften die kleinen Kreise entsprechend der Vorlagen ausgemalt. Mama ist gespannt und lässt sich das Spiel erklären.
Zunächst wendet sie die Puzzleteile bedächtig und zögernd in der Hand, aber bald geht es recht schnell und Gelb setzt sich neben Grün, wird wieder herausgenommen und doch lieber dem Orange zur
Seite gelegt. Sie versucht, ein bestimmtes Farbschema zu erkennen, befindet, dass das Rosa dem Braun besser steht als dem Blau, sieht dann aber ein, dass es hier um Formen und nicht um Farben
geht. "Das macht Spaß!"
Nach ein paar Runden gehe ich schnell in den Drogeriemarkt, um ihr ein paar nötige Kleinigkeiten zu kaufen. Die "Frau im Spiegel" ist dabei. Damit bin ich aufgewachsen, denn die hat Oma immer
gelesen und Oma wohnte bei uns. Dieses Klatschblatt wird also auch Mama vertraut sein und Königin Elisabeth auf dem Titel sieht so herrlich alt aus, dass Mama sich nicht alleine fühlen
muss.
Als ich wiederkomme, fragt sie, ob wir nun nach Hause gehen. Diese Frage fürchte ich jedes Mal. Jetzt ist sie da und mir krampft sich alles zusammen. Aber du wohnst doch hier.... wie hilflos,
wie wenig tröstlich, wie endgültig. Ganz plötzlich ist ihre gute Stimmung dahin. Eben hatte sie noch gestrahlt, gegrübelt, gespielt, jetzt sitzt sie da und weint.
Mama kann ihre Farben auch wechseln.
Ihre Mama sitzt im Zimmer und schmollt. So begrüßt mich eine der Pflegerinnen. Man hatte ihr verboten rauszugehen, nachdem sie gestern mal wieder verlorengegangen war.
Nun haben wir den Salat. Meine Mama weint ihrer Würde hinterher und ich versuche, sie aufzumuntern. Wie immer nehme ich sie in den Arm, sage, dass wir nun zusammen rausgehen würden, wie immer
suche ich nach ihrem Portemonnaie, finde es natürlich und will dann los, raus in den Sommer mit ihr. Sie befindet ihre Bekleidung als unpassend. Helle Schuhe zur dunklen Hose würde gar nicht
gehen. Aber sie hat ja keine weiße Hose. Das sagt sie im gleichen Tonfall, mit dem sie verschwundene Taschen, Handys, Portemonnaies beklagt. Ich zerre eine weiße Hose aus dem Schrank, schlage
noch ein schickes Halstuch vor und sie zieht sich endlos langsam aber getröstet um.
Den Rollstuhl lehnt sie entrüstet ab. Ich seufze, denn mit dem Gehwagen wird alles dreimal so lange dauern. 120 Schritte bis zu Rossmann für mich, 240 Schritte für sie. Da sie nicht schneller
kann, muss ich langsamer sein und das fällt mir schwer. Wir rollen in den kühlen Laden, ich packe Colgate ein. Immer schön die altbekannten Marken nehmen. Sie muss die Tube auch später noch als
Zahnpasta identifizieren können. Wir passieren ein Riesenregal mit Haarspray. Das weckt Begehrlichkeiten in ihr und sie steht minutenlang davor, liest die Aufschriften, kann sich nicht
entscheiden und greift dann zu Dreiwettertaft. Auch so ein Ding von früher. Damit kann sie unbesorgt nach London, New York und Rom. Weiter zur Gesichtscreme. Da kommt nur Nivea in Frage. Ach
Gott, was nehme ich denn da?
Wieder liest sie die Aufschriften. Anti Äidsching? Das brauche ich nicht mehr. Meine Falten gehen nicht mehr weg. Entweder aus Eitelkeit oder aus alter Gewohnheit packt sie noch getönte
Tagescreme ein.
Sie zahlt, packt ein und verursacht einen Stau an der Kasse. Die Menschen hinter uns sind geduldiger als ich. Ich will einen Kaffee. Wieder draußen in der Sonne, entscheide ich, dass wir ins Café
Provence gehen. Das ist nur wenige Schritte vom Seniorenheim entfernt. Die Wirtin stellt uns einen jungen Franzosen vor, der ein paar Wochen bei ihr arbeitet. Watn sööten Jung! wird Mama später
sagen.
Sie lauscht dem Gespräch der Beiden am Nebentisch und genießt die Sonne. Morgen habe ich einen Sonnenbrand auf der Nase. DieWirtin hält für Gäste immer Strohhüte parat und ich bringe ihr einen
davon. Er rutscht ihr fast ganz über den Kopf, aber die Nase hat nun Schatten.
Sie erzählt von ihren Träumen. Sie träumt wirres Zeugs und weiß nie, ob es nun Realität oder nur Traum war. Das Spiel geht so: Sie berichtet von etwas Unglaublichem und ich muss ihr sagen, ob es
Traum oder Wirklichkeit war. Es war immer ein Traum und immer streitet sie es ab.
Martina spendiert uns einen neuen Kuchen, den sie ab heute den Gästen anbieten will. Johannisbeerbaiser mit Lavendelsahne. Der sööte Franzose serviert ihn uns mit einem charmanten "Voilà et bonne
appetit" und Mama strahlt ihn an. Vielleicht sollte sie mal lieber von ihm träumen, statt von den ewigen Diebstahlgeschichten.....
Wieder zurück im Heim hat uns die Realität wieder. Eine Bewohnerin empfängt uns mit der Frage "Wo ist denn hier die Obrigkeit?" "Ich kann grad keinen sehen." antwortet Mama kopfschüttelnd.
"Was gibt es hier nur für tüdelige Leute." Die Dame greint "Nicht mal an der Rezeption ist jemand..."
Ich bringe Mama in ihr Zimmer, packe die Einkäufe aus freue mich über ihr Strahlen. "Danke für den schönen Nachmittag. Wenn du kommst, ist alles gut." Bevor ich heule, zische ich schnell raus in
die Sonne.
Vor wenigen Jahren noch hat Mama wie selbstverständlich ihr Handy benutzt.
Wenn heute das Wort "Telefon" aus ihrem Mund kommt, verkrampfe ich mich unmittelbar. Vor einem dreiviertel Jahr , als sie in das erste Seniorenheim zog, konnte sie sich ihre Pin nicht merken. Wer
hätte dafür kein Verständnis! Ich schrieb sie ihr auf einen Zettel, den ich in ihr Portemonnaie steckte. Beim nächsten Besuch erfuhr ich, dass sie das Portemonnaie verloren hatte. Es stellte sich raus, dass es nur verlegt war. Ich habe das komplette Zimmer durchforstet.
Aber Mama ist immer für eine Überraschung gut und ich sollte mich bei den weiteren Besuchen nicht langweilen. Sie bat mich ein paar Tage später um neue Batterien für ihr Handy. Ich zeigte ihr das
Ladegerät. Mit dem Ding konnte sie sich nicht mehr anfreunden. Es wurde zur Routine, dass ich bei jedem Besuch etwas suchen musste. Entweder war das Portemonnaie weg oder das Handy, manchmal auch
die ganze Handtasche. Ich kannte das Zimmer mit den hässlichen Plüschmöbeln und dem zweckmäßigen Kleiderschrank bald auswendig. Bei jedem neuen Besuch stellte ich mich auf eine weitere Suchaktion
ein und war wie vom Donner gerührt, als ich dabei ein nagelneues Handy fand. Sie hatte es sich gekauft, weil das alte ja nicht mehr funktionierte, so ohne Batterie!
Ich habe vergeblich versucht, es zurückzugeben, aber da sie den Originalkarton weggeworfen hatte, gabs kein Zurück. Ich stand vor dem Handyladen und hätte am liebsten die ganze Fußgängerzone
zusammengebrüllt. Hab ich nicht getan, sondern ihr ein Handy gekauft, das sie ohne Pin benutzen kann und das auch sonst einfach zu handhaben ist.
Am Sonntag danach rief sie mich morgens früh damit an und bat mich, sie doch nun aus dem Hotel zu holen. Ich saß auf dem Sofa und habe ihr alles geduldig erklärt. Sie zeigte sich schuldbewusst
wie ein kleines Mädchen und einsichtig. Mittags klingelte das Telefon erneut und das Spiel ging von vorne los. Als sie mich am Abend zum dritten Mal anrief und das gleiche Anliegen hatte, habe
ich zum ersten Mal bereut, ein Handy gekauft zu haben.
Seit ein paar Wochen ist das Telefonieren kein Thema mehr. Ich bin beunruhigt.
Heute bringe ich meiner Mama etwas mit, denn so ein Besuch will ja gestaltet werden. Ich halte einen geblümten Karton in der Hand, darin ein selbstgebasteltes Memoryspiel, das ich als 15-Jährige mit meinem damaligen Freund gebastelt habe. Zutaten waren 2 gleiche Fernsehzeitschriften, sehr dicker Karton und eine Schablone. Das Ergebnis war ein Memory mit mindestens 50 Doppelmotivkarten. Wurstbrote, Lolek und Bolek, Kussmünder, eine Walter Scheel Karikatur, Kreuzworträtselausschnitte, diverse Skifahrer und anderes Zeugs, das sich so in einer Hör Zu zur Winterzeit befindet. Jahrelang war es in unserer Familie in Gebrauch, auch als die Freundschaft zu Peter schon Geschichte war. Das Spiel ist bis heute erstaunlich gut erhalten geblieben.
Wir suchen uns einen Platz im Gemeinschaftsraum, ich sehe einen freien Stuhl und will mich gerade setzen, als ich in die blitzenden Augen einer weißhaarigen Dame blicke, die sich auch auf dem Weg zum Tisch befindet. Ich schlucke und frage höflich "Ist der Platz noch frei?" "Nein, da sitzt meine Tasche!", antwortet sie schneidend. So geht das heute schon den ganzen Tag, meint meine Mutter.
Nun, wir finden zwei andere Plätze und ich öffne den Karton. "Kennst du das noch?" Mama grübelt. Ich zeige ihr die verschiedenen Bilder und wir suchen erst mal die Paare zusammen. "Das habe ich mal gebastelt. Weißt du noch, mit wem?" "Mit Peter natürlich." kommt es wie aus der Pistole geschossen. Sie hat Peter immer geliebt und Liebe bleibt und trotzt der Demenz.
Wir spielen los, nachdem wir ungefähr 25 Paare ausgesucht und schön ordentlich ausgelegt haben. Am Anfang stelle ich mich bewusst ein wenig dusselig an, aber dann kommt sie in Fahrt und gewinnt tatsächlich die erste Runde. Ich fordere Revanche und wir beziehen eine alte Dame ins Spiel mit ein, die neben mir sitzt und kommentiert und schließlich zaghaft und elend schlecht mitspielt. Die zweite Runde geht an mich. Unterdessen hat das Gezanke am Nebentisch wieder angefangen.
Damen wuseln hin und her, als würden sie Die Reise Nach Jerusalem spielen. Sie stehen und zögern, eiern um die freien Stühle, bis die Dame mit dem Blitz im Blick eine andere Dame anfährt "Das ist mein Stuhl!" Die so Gescholtene gibt nicht auf und widerspricht. Nun wird Frau Blitzblick laut "Wisch du dir erst mal deinen Mund ab!" In der Sekunde muss Mama lachen und es platzt aus ihr raus - die vermeintliche Absicht von Frau Blitzblick sprachlich zu ergänzen: "....damit ich dir in der Zeit den Stuhl wegnehmen kann."
Mama hat heute alle Runden gewonnen.
Sie hieße Resi, denn dies ist für mich der klassische Name für eine Kuh, auch wenn sie nicht in Bayern lebte. Sie wäre fuchsbraun und hätte glänzende Augen und eine weiche Seele. Natürlich würde
sie auf ihren Namen hören und wenn ich sie leise vom Weidezaun aus rufe, würde sie den Kopf heben, kurz schnaufen und dann auf mich zu getrottet kommen. Sie liebt es nämlich, wenn ich ihr den
Kopf kraule und sie aus der Hand mit Butterblumen füttere. Ihre Wiese ist zwar ganz voll davon, aber sie weiß wahrscheinlich, dass es mir eine Freude macht.
Der gestandene Nachbarlandwirt wäre versiert. Er würde mir zu Resis Babyzeit geraten haben, ihr die Hörner abzusägen und die Stelle aus der sie nachwachsen würden, zu verätzen. Ich hätte
entrüstet abgelehnt und wir beide hätten darauf einen Schnaps getrunken - ob so viel Unverstand meinerseits.
Resi würde sich irgendwann Gesellschaft wünschen und so wird sie ein Kälbchen haben. Ich würde ihr von den schrecklichen Kälberboxen aus Plastik erzählen, in denen heute die meisten Kälber
wochenlang leben müssen, getrennt von der Mutter. Sie wird meine Worte nicht verstehen, aber zufrieden sein, dass sie ihr Kind neben sich hat und dass es bei ihr trinken darf.
Ich würde Resi jeden Tag melken und es würden keine 24 Liter sein, denn diese Menge müssten nur ihre Kolleginnen abliefern. Die Kühe, denen man das Kalb wegnimmt, damit wir immer mehr und immer
mehr Milch bekommen. Resi wäre wohlgenährt und nicht ausgemergelt und wenn sie nach dem Winter wieder auf die Butterblumenwiese darf, würde sie mit ihrem Kind Bocksprünge machen und ich könnte
die beiden lächeln sehen.
Da Resi so wunderschön wäre, würde der Nachbarlandwirt eines Tages vor meiner Tür stehen und mir einen Batzen Geld anbieten. Das Fleisch wäre gut zu verkaufen. Ich böte ihm wieder einen Schnaps
an und er sagte, dass er es hätte wissen müssen.
Ich wünsche mir, dass er sich auch eine Kuh wünscht und nicht bloß einen Stall voll Milchvieh.
Wie klingt das denn? Hat das was mit Raben zu tun? Irgendwie erinnere ich mich daran, diesen Begriff mal in Ostfriesland gehört zu haben. Dort war es ein Wasserloch mitten in der platten Weide.
Suchen wir doch mal ein Wasserloch in der Nähe von Mölln. Das alte Navi meiner Mutter führt uns brav über klitzekleine Schlängelwege und schließlich in einen hügeligen Wald. Das erste, was zu sehen ist, sind ein Parkplatz, ein großes Hotel mit Café und ein See, der von Wald umgeben ist. Ein großer See. Die Wegweiser rund um den Parkplatz scheinen im Kreis zu deuten, so dass wir zwei Ahnungslosen ja gezwungen sind, den See als den Kolk anzusehen. Schön ist er und vor allem ruhig, unbevölkert und leicht dunstig. Wir stapfen durchs Laub am Ufer entlang und vergessen vor lauter Knipsen das Frieren. Ein Boot, 56 Enten und dann wieder die stille Landschaft. Ich bekomme Lust auf Sahnetorte und wir gehen ins Café, das absolut leer ist. Keine kaffeeschlürfenden Omas, die hier so gut hergepasst hätten.... Nun, wir bekommen Torte und Kaffee mit Blick aufs Wasser.
Wir stapfen zurück zum Auto. Das Licht verschwindet langsam. Blöder Winter. Die Wiesen und Weiden, die wir auf der Rückfahrt sehen, liegen nun im Spätnachmittagsnebel. Wieder aussteigen, knipsen und beschließen, dass wir diese Tour unbedingt wiederholen müssen - allerdings muss dafür eine andere Jahreszeit her.
Zu Hause am PC sichten wir die Bilder, googeln nach dem Uhlenkolk. Der ist woanders. Mitten in einem Wildgehege, das in anderer Richtung vom Parkplatz aus liegt. Dort ist der Kolk auch das, was "Kolk" eigentlich bedeutet; ein kleines Wasserloch. So ungefähr jedenfalls.
Ein Grenzort, direkt an der Grenze Stormarns zum Kreis Segeberg. Der Weg beginnt im Dorfkern: Ein echtes Dorf, mit ein paar Häusern, einem asphaltierten Straßendreieck als gedachtes Zentrum. Auf der östlichen Seite begrenzt (schon wieder eine Grenzerfahrung!) von der Landesstraße L83. Vom Dorfdreieck geht es über die Straße Wiesengrund vorbei an Höfen (ein herrlicher Spielplatz für Kinder, die sich nicht nur virtuell dreckig machen), Kühe schauen muhend zu uns rüber, der Asphalt trägt einen lehmigen Patchwork-Mantel, eine schwarze Katze sitzt neben einer gelben Tonne.Wenig später ein paar Schafe, die, wie wir vom Besitzer erfahren, sehr zutraulich sind und auf dezente Rufe auch sofort zur Zaunstelle sind. Danach öffnet sich bereitwillig die hügelige Landschaft lustvoll für unsere Augen. Am Ende des Weges geht es noch etwas wiesig weiter, wir erwarten nichts, aber am Ende des Nichts steht links vom Weg ein Bauwagen Marke Pettersson (der von Findus), mitten im struppigen Vorgarten. Wäscheleinen zeigen trocknend, dass hier jemand lebt, auch der Rauch aus dem kleinen Schornstein signalisiert, dass hier einer wohnt. Keine 100m weiter geradeaus liegt sie dann, Zettlers Mühle, eine alte Mühle und ehemalige Nudelfabrik. Man weiß nicht genau, ob in dem Ensemble jemand wohnt, einen Briefkasten gibt es noch, aber keinen, der die Post entgegen nimmt. Die Gebäude und die Umgebung sind umsponnen von Schlingpflanzen und wild verzweigten Bäumen. Dornröschens Vorstufe. Links von den beiden Gebäuden steht immer noch ein alter Ford Transit, davor ein Stuhl und ein alter Gartentisch als käme der Camper gleich wieder, um sich einen Kaffee zu kochen und die Beine hoch zu legen, aber es kommt auch hier keiner, der türkis bis hellblaue Lack ist abgeblättert und zeigt wundervolle Rostgemälde, die farblich passend unter den Schatten winkenden Platzwunden ihr freskisches Dasein pflegen. Dieses Mal gehen wir noch ein Stückchen weiter, überqueren die Brücke über die Trave, die hier murmelnd bis sprudelnd ihr Bett durchwühlt. Hinter einem kleinen Lichtwald öffnet sich dem Blick wieder eine Felderlandschaft, die hie und da einen Knicks macht, der Wanderweg geht Richtung Bebensee. Aber bis dahin gehen wir heute nicht. Das späte Licht des Nachmittags mit Galloways und Hügellandschaft ist ein wunderbarer Abschluss, um wieder umzukehren.
An die Schönheiten meines Arbeitsweges habe ich mich schon gewöhnt. Hügel, Weiden, Getreidefelder und ein Fluss, über dem im Herbst die Nebelschwaden aufsteigen. Jeden Morgen das Gleiche und doch nicht das Gleiche, denn Jahreszeit und Wetter zaubern verlässlich stets neue Stimmungen und Anblicke. Landschaft in Variationen. Neulich hätte ich mich allerdings fast verbremst. Versteckt hinter dem üblich-üppigen Grün blitzte es mir purpurfarben entgegen. Ich musste mich konzentrieren, nicht in den Graben zu fahren und beschloss, auf der Rückfahrt auf dieses Fleckchen zu achten. Ich schlich also am späten Mittag verkehrsbehindernd die Straße entlang und fand sie wirklich wieder; ein eingezäuntes Stückchen wilder Wiese, fast ausschließlich von zartem, rotem Gras bewachsen. Ich hatte die Farbe leuchtender in Erinnerung....
Am nächsten Morgen fuhr ich wieder langsam und erwartungsvoll aus dem Seitenfenster spähend. Die Farbe leuchtete und glänzte mich an. Eine Morgenwiese also, die ihre Pracht nur dann entfaltete, wenn die Sonne tief stehend und von rechts strahlte. Jeden Morgen freute ich mich auf sie. Jeden Morgen fuhr ich langsam und genussvoll. Jeden Morgen nahm ich mir vor, am nächsten Morgen aber bestimmt anzuhalten und zu fotografieren. An meinem Geburtstag hab ich mir die Wiese dann selbst geschenkt. Anhalten und atemlos fotografieren. Ein paar Tage später hab ich Leo mitgeschleppt. Wir sind über den Zaun gestiegen und eingetaucht in Gluthitze und Purpurfarben. Gott muss berauscht gewesen sein, als er diese Wiese färbte.
So ein Theater! Man nehme vier Tänzer, eine Prise Humor, eine originelle
Choreographie, mitreißende Musik, ein ausgeklügeltes Video, Einkaufswagen, eine schräge Requisitenschieberin und eine kleine, sympathische Bühne in Lübeck - das Combinale. Heraus kommt ein äußerst unterhaltsames Menue. Locker wie ein Soufflé eben.
Zum Glück hatten wir vor der Vorstellung wunderbar gegessen ;-)
Serviert von TanzOrtNord.
Choreographie: Shiao Ing Oei
Projektleitung: Ulla Benninghoven
Tanz: Ulla Benninghoven, Janessa Jenkins, Shiao Ing Oei, Adrián Castelló,
Giovanni Nicolella und Birgit Schmidt als Kulissenschieberin
Video-Installation: Henning Zick
Bühne, Kostüme: Sonja Zander
Der Ratzeburger See hat eine prominente Stelle und das ist Ratzeburg. Dom, Schifffahrt, alles bekannt und schön. Aber da gibt es noch die weniger
bekannte Seite und die liegt östlich des Sees. Die Orte heißen Utecht, Schlagsdorf und so. Da sollen die Nandus leben, die vor ein paar Jahren aus einem Gehege in
Groß Grönau ausgebüchst sind und sich seitdem prächtig vermehren ... vielleicht sehen wir ja sogar welche? Aber wo genau sind sie? Wir
fahren durch die Gegend, die sehr reizvoll ist und ursprünglich, eben ehemaliges Zonenrandgebiet. Viel Natur, aber das Wetter ist trübe. Nahezu am Ende unserer Tour sehen wir auf einmal weit
entfernt auf einem Acker einen großen Vogel. Das Auto ist schnell gebremst und das Tele in Anschlag gebracht... sehr weit weg, aber immerhin, ein Nandu auf der Speicherkarte. Wenig später dann
stehen wir an einem Feldrand, und da tauchen sie plötzlich auf, wie einst die Cartwrights in Bonanza, am Horizont, eine ganze Herde mit Jungvögeln. Und sie kommen näher, wir vergessen das nasskalte Wetter, in uns glüht es.
Was haben wir für ein Glück. Am Ende der Fahrt reißt der Himmel sogar auf, die Sonne zeigt sich und in herrlichem Nachmittagslicht sehen wir noch welche, noch dichter, klick klick klick.
Wenn dir der Winter noch in den Knochen steckt und du dich übergesehen hast an Weiß, Grau und Braun, wenn Autolärm nervt und du mal wieder unebenen Boden betreten willst, dann musst du raus. Rechts raus aus der kleinen Stadt und rein ins Dorf. In Neritz holperst du die Kopfsteinpflasterstraße lang und betrachtest die Ausgestorbenheit. Nur hie und da wirst du einen Alten sehen, der seinen Obstgarten bepuzzelt, oder einen Hofhund, der dich anbellt, wenn du dein Auto am Dorfausgang vor seiner schmiedeeisernen Pforte abstellst. Nur ein paar Schritte geradeaus musst du gehen, gerade so weit, dass rechts und links das flächig explodierende Grün zu sehen ist, das Äcker und Wiesen überzieht. Du wirst bemerken, dass es still um dich wird und je stiller es ist, desto lauter zwitschern die Vögel. Mit Bedauern wirst du feststellen, dass du ihre Stimmen gar nicht ihren Namen zuordnen kannst. Die schmale Straße wird gesäumt von Buschwindröschen und die Knospen an Büschen und Bäumen sind kurz vorm Platzen.
Rechts am Ende einer Wiese wird dich ein malerischer Baum, an den eine Hochsitzleiter gelehnt ist dazu verführen, einfach drauf zu zu stapfen. Dem Baum entgegen und du wirst den kleinen Wall hinaufsteigen. Nur einen halben Meter höher kannst du nun schauen, aber das ist genug, um rechts ein blaues Leuchten zu erhaschen. Du kannst dich nicht erinnern, dass dort ein See sein soll, aber es wird dir egal sein. Am Ackersaum kannst du langgehen, dem Blau entgegen. Du kannst einen kleinen Frosch in einer Ackerfurchenpfütze finden und erkennst, dass du erst durch ein kleines Waldstück musst, um ans Wasser zu gelangen. Rehe wirst du aufscheuchen und dann wirst du staunen über das kleine Sumpfgebiet, in dem die Bäume stehen. Gelbe Grasbüschel darin und überraschend blaues Wasser zwischen den Stämmen. Dort wo Wald und See sich treffen musst du leise sein, denn erst wenn du ganz nah dran bist, kannst du die Schwanenmutter sehen, die auf einem Grashügelchen im Wasser ihr Nest hat. Keine Angst - wenn du dich behutsam bewegst, wird sie sich nicht beim Brutgeschäft stören lassen. Die ganze Szenerie ist verwunschen und genau das, was du deinen Winteraugen gegönnt hättest. Du kannst dich auf einen Baumstumpf setzen und einfach gar nichts tun. Vielleicht die Jacke ausziehen, denn es wird warm und sonnig sein. Am anderen Ufer kannst du den zweiten Schwan ausmachen und eine Schar Wildgänse. Schellenten und Blesshühner, Bachstelzen und ein Eichelhäher wohnen ebenfalls hier. Du wirst nichts hören, als Tierlaute und leises Wasserplatschen, Menschen siehst du weit und breit nicht.
Wahrscheinlich wirst du dich hier besser erholen, als an einem Tag am vollen Strand. Du kannst fast ganz um den See herumgehen, den Vaterschwan dabei beobachten, wie er Streit mit den Wildgänsen anfängt und dich amüsieren über das hysterische und dauerheisere Geschrei der Gänse.
Wenn du wieder beim Auto angekommen bist, wirst du dich wahrscheinlich wundern, dass drei Stunden vergangen sind und Lust auf ein Alsterwasser haben. Das kannst du dir im Dorfkrug in Grabau gönnen. Dort kannst du draußen sitzen und hast wieder eine Kopfsteinpflasterstraße vor der Nase, die warme Hausmauer im Rücken und die Sonne im Gesicht.
Wenn du das nächste Mal also den Winter aus den Knochen wischen willst, dann tu genau das oder was Ähnliches.
Wir haben es genossen!
An der Wakenitz soll es Eisvögel geben, das ist Grund genug, einmal dort unseren Ausflug zu beginnen, auch wenn wir nicht damit rechnen, welche zu sehen. Direkt in der Lübecker Altstadt mündet die Wakenitz in die Trave, ist nur 15 km lang und entwässert den Ratzeburger See. Entwässern bedeutet dabei natürlich nicht, dass der See mittlerweile trocken ist. Die berühmten Ruderer beweisen immer wieder aufs Neue, dass dem nicht so ist. Wir sehen natürlich keine Eisvögel, aber Dohlen, Enten, Haubentaucher und jede Menge Wildgänse, die am liebsten gemeinsam lärmen, insbesondere wenn sich zwei Fotografen nähern. Das Naturschutzgebiet liegt kaum 2 km von der Lübecker Innenstadt entfernt und durch die Bäume sieht man immer wieder die Türme des Doms durchscheinen. Was gibt es dort noch außer Wasser und Vögeln? Jede Menge verschroben-idyllische Kleingärten und die Insel Spieringshorst, auf die ihre Bewohner nur mit Hilfe einer Fähre gelangen, die sie selbst betreiben müssen. Im Winter dürfen sie über das Eis gehen, oder sich andere Wege erdenken. In den angrenzenden Waldgebieten hämmern die Spechte und Hundebesitzer versuchen ihre Hunde zu erziehen. Der Rückweg führt uns über die B207 nach Groß Grönau, wir haben Hunger und Durst und diese archaischen Bedürfnisse sorgen dafür, dass wir auf ein reetgedecktes Haus aufmerksam werden, auf dem Hofladen steht. Wir biegen spontan auf den Parkplatz ein und bereuen unseren Stopp nicht. Das Restaurant Alte Bierstube wirkt gar nicht so wie es heißt, denn Innenleben und Essen sind sehr fein. Wie wir erfahren, ist es auch eher eine Pro-Bierstube, in der die von der Tessenower Manufaktur hergestellten Bioleckereien für die Speisen verwendeten werden, damit die Gäste diese probieren können. Wir beide essen einen Salat mit hausgemachtem Dressing, Emmi nimmt Blutorangen-Vinaigrette und ich die Variante Orange-Ingwer, Emmis Salat ist mit Hühnchen, mariniert in hauseigenem Paprika-Chili-Schoko-Pesto, meine Gambas sind in Harissa angebraten. Und weil es so gut geschmeckt hat, setzen wir unsere Diät mit einem Nachtisch aus Mousse au Chocolat, Espressosorbet und dem absoluten Hammer, Chai-Parfait, fort. Geschmacklich so verführt ergeben wir uns in unser Schicksal und kaufen dann noch die halben Regale leer.Das können wir alles gar nicht tragen und die Kellnerin bietet uns eine Tüte an. Wir wollen keine Plastiktüte und zögern und zaudern... Sie bietet an "Sie können die Tüte ja erstmal anschauen!" Das ist nun wieder so witzig, dass wir nicht umhin können, der Empfehlung zu folgen. Die dargebotene Papiertüte nehmen wir natürlich gerne.
Satt und zufrieden düsen wir weiter Richtung Ratzeburger See. In Pogeez stoppen wir für eine alte altmodische ehemalige Tankstelle und einen Antikladen, außer diesen beiden morbid-charmanten Anachronisten hat man dort einen wunderschönen Blick über den See und die Segelboote. Zudem stehen dort ungewöhnlich viele Reetdachhäuser in bester Lage. Da die Hauptsraße Richtung Oldesloe wegen Bauarbeiten gesperrt ist, entscheiden wir uns, über kleine Landstraßen querfeldein zu fahren, was den Vorteil hat, dass dort wenig Verkehr ist und wir jederzeit anhalten können, um unseren visuellen Vergnügungen zu fröhnen. Wir fahren durch kopfsteinbeflasterte Dörfer und entdecken auf einem Feld ein Kranichpaar und ein paar unvermeidliche Rehe. Unser letzter Halt ist Berkenthin, wo sich direkt an der Straße mehrere Koppeln befinden mit Kamelen, Maultieren und Pferden. Die Kamele sind außer Rand und Band, necken und kabbeln sich, was zum Abschluss ein paar vergnügliche Impressionen einbringt. Die Eisvögel haben wir längst abgehakt, aber schließlich hatten wir ja Espressosorbet.
Natürlich kennen wir als gebürtige Hamburger Wilhelmsburg. Das ist an der Elbe, da wohnten Hafenarbeiter, heute nur noch Ausländer und Leute, die wenig Geld haben. Und Wilhelmsburg ist ein sozialer Brennpunkt. Ich kannte nur die Sporthalle in der Dratelnstraße, weil ich da ab und zu ein Handballspiel hatte. Der Weg vom Bahnhof dahin war häßlich, merkwürdig. Und die Schiedsrichter in der Halle pfiffen immer gegen uns, weil wir ja von nördlich der Elbe kamen. In letzter Zeit wurde viel über Wilhelmsburg berichtet, 2013 findet dort die Internationale Gartenschau statt. Und die Internationale Bauausstellung (IBA), gleichzeitig ein Großprojekt ähnlich wie die Hafencity, Dadurch soll Wilhelmsburg endlich an die Hamburger Mitte angebunden werden. Viele werfen dem Projekt Gentrifizierung vor, andere freuen sich darüber, dass endlich was passiert. Wir werden das hier nicht erörtern, viel zu kompliziert und vielfältig ist dieser Stadtteil, der durch den Kinofilm Soul Kitchen 2009 neue Berühmtheit erreichte, der zerschnitten ist von Elbe, Autobahnen, Bundesstraßen und der Eisenbahn. Was steht im Touristenführer ganz oben? Wilhelmsburg ist Europas größte bewohnte Flussinsel und weniger als 10 Minuten vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt. Alles das reicht vollkommen aus, um uns endlich mal auf den Weg zu machen, Wilhelmsburg mit eigenen Augen zu erkunden.
Unser Ziel ist das Reiherstiegviertel. Davon hatte Emmi gelesen. Ob wir nun Bahnhof Veddel oder Wilhelmsburg aussteigen, ist egal, von beiden Stationen ist es gleich weit zu Fuß.Wir steigen Veddel aus, es ist herrliches Wetter und an der Elbe längs zu gehen, um Hamburg mal von der anderen Seite zu sehen, erscheint uns lohnenswert. Gut 20 Minuten geht man zu Fuß, immer auf dem Deich entlang, auf dem Fußgänger, Radfahrer und Skater dem autofreien Asphalt fröhnen. Links die backsteinerne Wohnbebauung und die verkehrsreiche Harburger Straße, rechts die Elbe mit dem Blick auf Güterzüge und die Hamburger Skyline mit Kränen. Kirchtürmen und der Elbwirrwarrmonie. Am Wasser liegen Hausboote, in kräftigen Farben bemalt, zugänglich durch Stege, die durch eiserne Pforten und Nato-Draht gesichert sind. Wohnzimmer auf dem Wasser, und selbst die Wäsche hängt auf dem Vordeck. Alternative Elbromantik. Wir spinnen unsere Fantasien ohne sie direkt in Worte zu fassen.
Eigentlich möchte man gar nicht wirklich die Szenerie wechseln, sondern immer weiter gehen, aber wir wollen ja nach Wilhelmsburg rein, in das Herz des Stadtviertels blicken. Wir fragen einen Biker, der alleine auf einer Deich-Designertreppe sitzt und ein Bier trinkt (wahrscheinlich Astra), wo es zum Reiherstiegviertel geht. Designertreppe deshalb, weil die Stufen so niedrig sind, dass man sie nur in Minischritten gehen kann, aber zu breit, um zwei Stufen auf einmal zu nehmen. Weil wir ihm nicht recht glauben, dass es diese monotone Straße geradeaus gehen soll, fragen wir zur Sicherheit an einer Ampel ein dezent punkig-angehauchtes Pärchen, dass uns ganz nett erklärt, wie wir am besten gehen können und uns dabei sofort duzt, was uns das Gefühl gibt, schon ein wenig dazuzugehören. An einem alleeumsäumten Kanal führt uns der Weg zu neu gebauten schicken Siedlungshäusern mit Balkonen und kleinen Gärten, schick, weiß, ein wenig bauhausmäßig, aber auch schon an einer Ecke mit Grafitti besprüht.
Schon die nächste größere Straße, der Vogelhüttendeich, zeigt uns das Typische dieser Gegend, eine lebendige Straßenkultur mit alten Gründerzeithäusern, Neubauten, türkischen Läden, deutschen Kneipen und vielen Leuten auf der Straße, gerade heute, wo die Sonne scheint.
Ein netter älterer Herr erklärt uns den Weg zur Veringstraße, der Hauptstraße durch das Viertel nicht ohne uns einen kurzen geschichtlichen und politischen Abriss der Gegend zu geben. In der Tat sind es kaum 300 Meter bis zum Stübenplatz mit einer wellenförmigen Dachkonstruktion über dem Marktplatz, aus dem die Veringstraße entspringt. Schon gleich trubelt es und am Anfang sind alleine schon drei Restaurants mit Draußensitz-Gelegenheiten auf dem Fußweg. Es ist ein wenig wie Ottensen, denken wir Nordelbier, aber fremder, südlicher, noch türkischer, Multikulti weniger als Monokulti, Migrationshintergrund wird hier zum Migrationsvordergrund. Aber zwischendurch gibt es auch eine portugiesiche Tapas-Bar und das erste Lokal an der Straße, das mittenmang, ist fast schon deutsch mit einer leicht französischen Anmutung. Hier werden wir später noch eine Kleinigkeit essen und dazu einen Grünen Veltliner in der Sonne schlürfen. Aber dazwischen liegt unser Marsch die Veringstraße herunter, interessante, spannende Siedlungsarchitekturen aus den 20er Jahren, türkische Kiosks, Kebab-Läden, Handy-Shops, Elektroläden mit Ohmschem Krimskrams, Friseure ohne Schere im Kopf, Eiscafe San Remo ohne Italiener, nur das monumentale Postgebäude sieht irgendwie Deutsch aus. Wenig später eine kulturübergreifende Seniorenwohanlage im Oriental-Look und angegliedertem Hamam-Palace. Auf der anderen Seite ein beeindruckender Hof der Mannesallee mit Häusern aus dem Jahr 1925. Menschen gehen hier zu Fuß oder werden von der hier beherrschenden Metrobuslinie 13 in das Viertel oder wieder heraus gebracht.
Zwei türkische Männer sprechen mich an, ich soll doch nicht das graue, schmutzige Haus forografieren, das wird doch noch schön gemacht. Emmi sagt, wir knipsen auch schmutzige Sachen, aber ich belasse es bei diesem einen Bild von dem Haus mit dem Schild Eisen-Jens vorne drauf, Die beiden sind stolz auf ihr Viertel, und es ist schön zu sehen, dass sie es sind,
Der ältere Herr von vorhin hat uns erzählt, dass es dort noch einen Bunker gibt mit Cafe und herrlichem Rundblick über das neue Wilhelmsburg. Aber uns erwartet dort eine Menschenschlange an der Kasse und wir müssten mindestens 10 Minuten warten, um eingelassen zu werden, Emmi braucht schneller etwas zu trinken und daher beschränken wir uns darauf, die Schaulustigen von unten zu fotografieren und denken uns in sie herein, um den Ausblick zu genießen.
Wir machen noch einen kurzen Abstecher zum Veringkanal und spazieren dann zurück die Straße entlang zum Anfang, um dann im mittenmang den schon angedeuteten Wein zu trinken. Am Stübenplatz schauen wir uns als letztes noch das Alte Deichhaus an, das die Arbeitsloseninitiative und die Wilhelmsburger Tafel beherbergt, bevor wir mit der 13, dem Bus, wieder Richtung Veddel entschwinden, mit der S-Bahn die Elbe überqueren, durch die City Süd zum Hauptbahnhof fahren, um dort umzusteigen in den Regionalzug, der uns wieder zurück bringt in das ziemlich deutsche, beschauliche Oldesloe, kaum zu glauben, nur 45 Minuten entfernt.
Der letzte Tag in Sachsen-Anhalt. Noch einmal nach Wittenberg, weil es nicht weit ist, weil wir noch nicht alles gesehen haben und weil wir die Hoffnung haben, dass wir doch noch einen kulinarisch lohnenswerten Ort finden, der uns bisher nicht wirklich vergönnt gewesen ist. Emmi möchte einen anderen Weg fahren, also fahren wir einmal von Möllensdorf gen Norden über Straach sozusagen von oben rein nach Wittenberg, froher macht es sie nicht, denn auch diese Dörfer auf dem Weg sind nicht heiter. Der Weg führt uns direkt ins Zentrum, was praktisch ist, aber nicht unbedingt heute, denn ich möchte noch unbedingt nach Piesteritz, und das liegt im westlichen Wittenberg direkt an der B187. Piesteritz klingt komisch, Emmi fragt mich, was das wohl bedeutet, ich schlage nach: Es kommt aus dem Slawischen und heißt Rascher Bach, was einem zwar eine Ahnung vermittelt, dass dort auch ein Bach fließen mag, aber nicht wirklich die Bedeutung dieses Ortes näher bringt, denn dann müsste Piesteritz eigentlich vielmehr stickiger Stoff heißen.
Piesteritz war ein kleines Dorf, das um 1870 schlappe 170 Einwohner zählte. Das Leben dort änderte sich gewaltig mit der Industrialisierung. 1898 wurden dort die Gummiwerke errichtet und dann ab 1915, also mitten im Ersten Weltkrieg, die Reichsstickstoffwerke, weil durch die Seeblockade der Engländer der Weg des aus Chile bezogenen Salpeters versperrt wurde. Und diese Werke brauchten Arbeiter und die Arbeiter brauchten Wohnungen, und so wurde eine Werkssiedlung für 2000 Arbeiter gebaut und zwar nach Plänen von Paul Schmitthenner und Otto Rudolf Salvisberg. Besonders an dieser Siedlung ist sicherlich, dass Wert gelegt wurde auf lebenswertes Wohnen, jede Wohnung hat einen Garten, es gibt eine Schule, eine Kirche und wegen der Vielzahl an polnischen und rheinländischen Arbeitern war diese sogar katholisch, ein Rathaus und Einkaufsmöglichkeiten, die gesamte Siedlung war und blieb autofrei bis heute.
Wenn man heute durch diese Siedlung streift, fällt sofort auf, dass dort wirklich kaum Autos zu sehen sind, denn die Anwohner haben ihre Parkplätze am Rande außerhalb des Siedlungsbereiches und dürfen nur zum Be- und Entladen zu ihren Wohnungen fahren. Die Häuser gefallen durch eine schlichte Schönheit, das gesamte Bild wirkt einheitlich, harmonisch aufeinander abgestimmt und bietet doch immer wieder viele kleine individuelle Unterschiede. Piesteritz zeigt mir, wie es gehen kann, für eine große Anzahl Menschen günstige Wohnungen zu bauen und diese nicht in Plattenbauten, Hochhäusern oder anderen Wohnkokons aufzubewahren. Es verwundert also nicht, dass Piesteritz heute eine der begehrtesten Wohngegenden Wittenbergs ist. Umso mehr verwundert es mich aber, dass diese 2000 zur EXPO grundsanierte Siedlung, die bereits 1986 noch in der DDR unter Denkmalschutz gestellt wurde, nicht mehr Nachahmer gefunden hat.
Wenn man sich dort aufhält, fühlt man sich wie in einer kleinen abgeschlossenen Welt und vergisst dabei fast gänzlich, dass sich gleich hinter den Wohnbereichen ein riesiger Chemiepark mit rund 30 Unternehmen, unter anderem auch den Stickstoffwerken erstreckt.
Beeindruckt fahren wir weiter, über die Gleise nur wenige hundert Meter weiter zur Rothemarkstraße, dort soll der Schmetterlingspark sein, in dem es garantiert deutlich wärmer ist als draußen. Fast wären wir dran vorbei gefahren, so unscheinbar liegt das Gebäude in einer gar unwirtlich-schrecklichen Umgebung. In der Tat ist es drinnen wärmer. Das finden auch unsere Kameras und beschlagen aus Ärger über den Klimawandel sofort und mehrmals, dass wir erst nach einer Viertelstunde an Bilder denken können, die etwas anderes zeigen als Nebel.
Und was ist mit den kulinarischen Freuden? Ja, tatsächlich befindet sich in Wittenberg am Markt das Hotel Goldener Adler, in das wir aufgrund des Namens sicher nicht reingegangen wären, wenn unser Reiseführer es nicht empfohlen hätte. Hier sollen ja schon Luther, Goethe und andere berühmte Leute gespeist haben. Außer uns ist nur noch eine Gruppe anderer Gäste da, aber das macht nichts, der Service ist freundlich, die Teller angewärmt, zum Auftakt gibt es Lachsbällchen mit Baguette als Gruß des Hauses, ich nehme Zürcher Geschnetzeltes mit selbst gemachten Spätzle und einen großen grünen Salat und Emmi in Butter geschwenkte Tagliatelle mit Gemüse, danach noch zwei Espresso und für mich die Dessert-Variationen des Hauses, an denen sich der Koch wirklich verausgabt hat und der locker für 2 Personen gereicht hätte. Zusammen mit den Getränken haben wir ein köstliches Mahl für günstige 36 Euro, das uns für die sonstigen gastronomischen Greuel der Umgebung am Ende doch noch entschädigt.
Und wenn wir nicht wieder nachhause müssten, wären wir garantiert auch noch in das großartige Clack-Theater gegangen, das sich gänzlich ohne öffentliche Förderung am Leben hält.
Die Elbe - wo sie darf, schlängelt und mäandert sie sich durch die Landschaft und dann ist dort auch alles in Ordnung. Hier um die Ecke gibt es das Biosphärenreservat Mittelelbe. Ein herrliches
Fleckchen, das deshalb herrlich ist, weil es ein bisschen unaufgeräumt und unordentlich wirkt. Zwischen den eingedeichten Elbauen darf alles sein, wie es sein will. Der Fluss schlängelt
gutgelaunt, Waldfleckchen finden sich an den Ufern, ebenso wie Wiesen, die einfach Wiesen sein dürfen. Kleine Bäche, über die schmale Brücken führen, überall bizarre Bäume, die die Wiesen
schmücken wie Ausrufezeichen, braungelbes Schilf oder Gras, ich kann das gar nicht unterscheiden, Feuchtwiesen, die nur die Wildgänse betreten können.... und weil es so unordentlich und
unübersichtlich, so menschenleer und besonders ist, finden sich die Tiere wie von selbst ein. Hier leben massenweise - und ich übertreibe nicht - massenweise Kraniche, die man in schönster
Eintracht auf den Wiesen findet mit Wildgänsen und Rotwild. Diese drei Tierarten gemeinsam grasen zu sehen, hat mich gestern so beeindruckt, dass nur noch das besagte Einhorn gefehlt hätte zum
Träumen. Ich wollte wieder hin.
Von der Autobahn aus kann man eine der Wiesen sehen und ich habe im Vorbeifahren die Zahl der Kraniche auf ca. 100 geschätzt. Auf diese Wiese wollte ich zu Fuß. Wir sind auf den schmalen Straßen
durch das Gebiet gefahren, auf der Suche nach einem günstigen Startpunkt. Wir stapften 100 Meter am Feldrand entlang, direkt über uns die Autobahn. Dann bogen wir rechts ab und gingen weiter,
genau zwischen Knick und Acker. Der Schnee war weggetaut und hatte feuchten Lehm zurückgelassen, der sich an unsere Schuhe heftete. Am anderen Ende des Ackers standen die großen Vögel - hellgraue
Silhouetten, die mich den Lehm vergessen ließen. Weiterstapfen, weiterstapfen... die Schuhe wurden schwerer, der Ackersaum machte eine lange Kurve, der wir folgten, die Kraniche schienen nicht
dichter heranzurücken. Wie eine Fata Morgana...wir versuchten ein paar Fotos, hofften auf die Stärke unserer Objektive und stapften schließlich zurück. Ich war froh, es versucht zu haben. Wir
haben sie immerhin gesehen, diese scheuen Vögel, die einen Stammplatz direkt neben der Autobahn gefunden hatten. Eine Autobahn, die dieses Biosphärenreservat direkt durchschneidet...
Wir fuhren weiter und trafen einen Einheimischen, der mit seinem Hund am Rand eines Sees saß. Eine absonderlich erscheinende Freizeitbeschäftigung - einfach am See sitzen und auf Leute warten,
die zum Plaudern vorbeikommen. Ziemlich hoffnungslos in dieser Gegend, aber der Mann hatte Glück, denn wir kamen vorbei und plauderten gerne. Am gegenüberliegenden Ufer stand ein Silberreiher -
schmal und weiß, wieder ein Ausrufezeichen, nur diesmal im Schilf. Manchmal müssen Bilder auch ohne Kamera direkt in den Kopf. All die Biber, die es hier gibt, müssen sogar nur in unserer
Fantasie bleiben. Auch sie noch fotografieren zu wollen, würde im Frust enden. Wir wissen aber, dass es sie gibt und ich habe vorhin gelesen, dass sie ihre Biberburg, die für Besucher einsehbar
war, verlassen haben, um mit ihrem Nachwuchs eine andere Biberburg zu beziehen. Uneinsehbar für die Menschen. Und das hat mich grinsen lassen. Wir müssen nicht alles sehen und uns dran gewöhnen,
dass auch Wildtiere eine Intimsphäre haben.
Was ist Bauhaus? Was Eckiges, was Stylisches, klassisch und immer wieder angesagt, minimalistisch auch. Viel mehr wusste ich darüber nicht. Ich ahnte allerdings, dass diese komischen Stühle mit dem Stahlrohr, die damals in der Wohnung meiner Oma gestanden haben und die so gar nicht in eine Omawohnung passen wollten, irgendwas damit zu tun hatten. Thonetstühle seien das, sagte meine Mutter. Der Name dieses Holzverbiegenden Stuhlherstellers begegnete mir erst Jahrzehnte später wieder.
Als Michael in der Ferienwohnung ein Buch über Bauhaus entdeckte und ich darin las, dass auch Klee und Kandinsky dabei waren, wurde ich hellhörig. Die haben in Dessau gewohnt und ihre Wände bunt gestrichen? Das wollte ich sehen. Dessau ist nicht weit und uns ist eine Innenaktivität bei diesem Wetter sowieso recht.
Wir parken am Bahnhof und laufen zum großen Bauhausgebäude. Ich weiß, dass dieser Gebäudekomplex schon 1925 entstand und bin trotzdem überrascht von dem überaus modern anmutenden Klotz-an-Klotz. Soviel Glas, so viel gerade Linien! Alle Häuser drumrum, die später erbaut wurden, sehen deutlich älter aus. Das ist schon verblüffend. Himmel und Bäume spiegeln sich in den Fassaden und lassen die Klötze leicht erscheinen. Walter Gropius hat die Pläne gezeichnet für diese Kunst-, Design- und Architekturschule.
Ich will da rein. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber meine Neugier siegt über den Schreck, den die hohen Eintrittspreise verursacht haben. Aber Gropius ist ein großer Name und da darf es gerne etwas mehr sein, oder? Innen sehen die Flure (und mehr konnte man sowieso nicht sehen) genauso aus, wie die Flure damals an meiner Uni. Vielleicht war die auch Bauhaus? Nein, nicht so ganz - ich lasse die Ironie mal besser weg. Es ist gepflegter und größer und viel heller, aber am Ende eines jeden Ganges, den keine Bilder oder sonstiger Zierrat schmücken, steht man immer vor einer verschlossenen Tür. In einem unerträglich warmen Raum ist eine Ausstellung zu sehen, aber fotografieren dürfen wir dort nicht. Zwei Gründe um gleich wieder rauszugehen. Im Keller noch eine kleine Ausstellung. Dort treffe ich Omas Möbel wieder! Aber knipsen ist auch hier untersagt. Bleibt noch eine Caféteria, die Lounge heißt. Passt nicht und ich fange an, das alles für übertrieben zu halten. Ich möchte jetzt was Handfestes, wie zum Beispiel das Treppengeländer berühren, das schon Paul Klee angefasst hat und ich möchte wissen, in welcher Farbe es gestrichen ist. Ich möchte sehen, wie man in den Häusern wohnte, die so zweckmäßig und modern gewesen sind, so komfortabel und hell, wie es wohl sonst kein Haus in der damaligen Zeit war - jedenfalls nicht das Haus eines Normalbürgers.
Wir betreten das erste der 3 schnörkellosen Doppelhäuser. Gleich im Treppenhaus hat man das Gefühl, in einem großen Kinderhaus zu sein. Die Wände sind tatsächlich vollflächig hellgelb, der Handlauf des Treppengeländers ist knallrot. Es hat etwas kindliches und ich denke unwillkürlich an Klees und Kandinskys Bilder...Jedes der relativ kleinen Zimmer ist in einer anderen Farbe gestrichen, Möbel stehen nicht in den Räumen und das Fehlen von Pflanzen, Büchern und Möbeln lassen die Räume relativ kühl wirken... oder sind das die Farben? Ich mag auch keine weißen Wände mehr, aber diese Farben finde ich gewöhnungsbedürftig. Grundfarben wie aus dem Baukasten, nur hin und wieder mal was gemischtes wie ein kleines lila oder in einem der Schlafzimmer für Frau Klee oder Frau Kandinsky ein warmes Goldbraun. Einen Ausreißer gibt es allerdings; ein Schlafzimmer, das komplett schwarz gestrichen ist, inklusive der Decke. Auf dem Fensterbrett liegt ein Schriftstück. Ein Besucher oder Bewohner - genau weiß ich es nicht mehr, hat seine Erfahrung von der ersten und einzigen Nacht in diesem Zimmer aufgeschrieben. Es wurde danach als Aufbewahrungsraum für Koffer und Krempel benutzt. Diese Dinge sind nicht farbempfindlich.
Die Häuser haben einige Dinge gemeinsam, die absolut praktisch sind, oder auch unschön, oder beides... alle Küchen haben eine Durchreiche zum Esszimmer, Heizungen im Bad sind ganz oben fast an der Decke über der Badewanne angebracht, einige Fenster sind so hoch angebracht und so schmal, dass man nicht hinaussehen kann. Stellplatz an der Wand war wichtiger als Ausblick.
Hier in diesen Häusern kann ich wenigstens das tun, was ich gerne in einem Museum tun möchte: staunen, mich wundern, mich amüsieren und etwas dazulernen.
Gelernt habe ich unter anderem, dass man mit geerbten Möbeln nicht nachlässig umgehen soll. Was heute im Museum steht, haben wir leichtfertig ausgemustert. Omas Möbel!
Warum muss ich bei dieser Stadt an Herbst denken, nur weil es sich reimt? Ja, es reimt sich, aber dieser Reim scheint Programm zu sein, wie im Herbst scheint mittlerweile das Leben aus dieser ehemals blühenden Stadt entwichen zu sein, die einst sogar mit Rothenburg ob der Tauber verglichen wurde. Heute hängen Ruinen und Reste alter Bebauung wie welke Blätter in den Straßenzügen.
Wir fahren von Coswig aus über Landstraße Richtung Zerbst, weil Emmi gerne mal zwichendurch anhalten möchte, und weil wir durch den Ort fahren möchten, der Hundeluft heißt. So nähern wir uns also von Norden der Stadt und gelangen gleich über das best erhaltendste Tor in der alten Stadtmauer, das Heidetor, direkt ins Zentrum. Zentrum? Es ist uns nicht auf Anhieb klar, ob es wirklich das Zentrum ist, aber uns fällt als erstes die Trinitatiskirche auf. Ein wunderschöner Bau, der gar nicht kirchentypisch aussieht, eher wie ein Theater oder Konzerthaus. Aber gleichzeitig sehen wir auch die Bebauung um die Kirche herum, die sich farblich harmonisch an die Kirche anschmiegt, aber überwiegend aus Plattenbauten besteht. Da war früher einmal Fachwerk, lesen wir später... und die Trinitatiskirche wurde am 16.4.1945 bis auf die Mauern vollkommen zerstört, wurde dann aber später wieder aufgebaut und dient heute als Gemeindezentrum.
Der 16.4.1945, kurz vor Kriegsende, und der Kommandant der Stadt wollte nicht kapitulieren, nach mehrfacher Aufforderung nicht, er hätte eine der schönsten Städte Deutschlands retten können. Hat er nicht, wie überhaupt die Nazis nicht auf der Welt waren, um etwas zu retten, sondern nur, um zu zerstören.
Von der Altstadt blieb nicht viel übrig. Gleich das nächste Mahnmal, kaum mehr als 50 Meter von Trinitatis entfernt: die Ruine der kolossalen St.Nikolaikirche, zwei der drei Türme stehen noch, ebenfalls Teile der Außenmauern und einige Säulen der Halle. Der Rest ist leer und durch die Löcher sieht man .... weitere Plattenbauten. Welch ein schräger, kaum fassbarer Gegensatz.
Vor der Nikolaikirche an der Stirnseite des Marktplatzes thront das imposante Rathaus ... nicht mehr, aber die Rolandstatue von 1445 steht da noch, einsam, frierend wie wir auf dem kalten windigen leeren Marktplatz. Dahinter gleich wieder Plattenbauten. Die östliche Seite des Marktes ist größtenteils neu bebaut und durchaus ganz verträglich und ansehnlich geworden.
Emmi und ich lassen den Markt hinter uns, ich will noch das Schloss sehen, in dem einst Katharina, die Große, Zarin von Russland, aufgewachsen ist. Dazu müssen wir zuerst eine neue verkehrsreiche Straße mit langer Ampelphase überqueren. Die vor uns liegende Fußgängerzone lockt uns nicht gerade, aber ein einziges Geschäft hat auf, ein Bäcker-Shop, in dem wir uns aufwärmen können, auf Klo gehen und einen Kaffee trinken. Es geht weiter, die Sonne zeigt sich kurz.
Wenig später auf der rechten Seite, die nächste zerstörte Kirche: St.Bartholomäus, wartet auf uns, die sieht wenigstens von außen noch halbwegs unversehrt aus, das Innere ist aber auch nicht mehr zu gebrauchen. Zerstört am 16.4.1945. Dagegen glänzen gegenüber die ehemaligen Kavaliershäuser, die als heutiges Rathaus dienen. Die Schlossfreiheit zeigt einem ein wenig das Gesicht des alten Zerbst. Wir lassen die Schlosswache links liegen und erreichen die Reste des ehemals riesigen Schlosses, es steht nur noch die Ruine eines einzigen Flügels, halb verfallen, umzäunt auf einer großen, durchnässten Wiese. Der Rest zerbombt am 16.4.1945.
Wir gehen denselben Weg zurück, schnell, weil Emmi äußerlich und innerlich kalt ist. Wir verlassen Zerbst und finden unseren Weg zur Elbe, überqueren diese mit einer Gierfähre kurz vor Aken, halten vorher noch einmal an, um uns die knorrigen Bäume der Elbauenlandschaft anzusehen und fahren weiter bis nach Köthen, wieder einer alte ehrwürdigen Stadt mit einem Schloss, in dem Johann Sebastian Bach mehrere Jahre Hofkapellmeister gewesen war und in der Samuel Hahnemann 1821 bis 1834 wohnte und viele seiner Schriften zur Begründung der Homöopathie niederschrieb.
Die Sonne scheint, aber der Wind bläst sibirisch und so durchschreiten wir zügig Teile der Altstadt. Wir sehen den Markt mit der monumentalen Kirche St.Jakob und dem Rathaus, sparen uns aber den Abstecher zum Schloss selbst. Was auffällt: Hier ist weit weniger kaputt gegangen und die Neubauten im Kern fügen sich recht ansprechend und glücklich ins Stadtbild ein, jedenfalls gelungener als in Zerbst.
Zurück fahren wir über unterirdisch schlechte Straßen über das Land zurück bis zur allgegenwärtigen Autobahn A9 und befahren diese bei Anschlussstelle Dessau-Süd. Wir halten nicht mehr an. Wir wollen nachhause, wir wollen eine Kanne heißen Ingwertee.
Nun sind wir beide erkältet und haben nach 2 Rumsumpftagen genug von schneebedeckten Feldern. Ich muss langsam mal in eine Stadt, in der ein paar bunte Häuser zu sehen sind. Wittenberg, die
Lutherstadt bietet sich an, also fahren wir los und sind in nur 20 Minuten da. Zunächst muss man allerdings noch eine scheußliche Straße hinter sich bringen, an der rechts und links ein sehr
langes und aus vielen Schornsteinen qualmendes Industriegebiet liegt.
Vom Parkplatz aus nur ein paar Schritte und wir stolpern fast über das Schloss, an das die pompöse Schlosskirche einfach drangeklebt scheint. Leider ist der Kirchenkomplex mit einem Bauzaun
umgeben und auf einem Schild wird darauf hingewiesen, was bis 2017 alles gemacht werden soll. Die Liste ist entmutigend lang, aber 500 Jahre Thesenanschlag an die Kirchentür müssen schließlich
gefeiert werden und da muss die Kirche auch von innen glänzen. Ich möchte nicht wissen, was für Menschenmassen sich dann Richtung Schlosskirche und Museum wälzen werden... schon heute sehen wir
einige Reisegruppen, die durch die Lutherstadt pilgern. Eine davon sieht asiatisch aus, aber ihre Sprache klingt eher nach irgendwas Russischem...
Im Museum wird mir nochmal klar, was ich damals wohl in der Schule schon gelernt, aber heute nicht mehr so wirklich gehirnpräsent hatte; Luther war schon ein recht progressiver Mann. Das
Mönchsein gab er für Katharina auf und sie nahm sogar an den Gesprächen mit all den Gelehrten teil, die sich in seinem Haus einfanden. Das war damals sicher nicht Usus. Besonders beeindruckend
fand ich all die dicken Bücher, die er selbst geschrieben hat. Mit der Hand wohlgemerkt. Dick, schwer und staubig stehen sie da und ringen mir Bewunderung ab. Die Thesen, mit denen er die
Gläubigen damals vom Joch der katholischen Kirche und besonders vom Irrsinn des Ablasses befreien wollte, sind schon mutig und modern gewesen. Man muss gerecht sein, und das mal mit Augen von
damals sehen. Augen, die nie ein Buch gelesen haben, weil es keine Bücher gab, die sich angstvoll beim Gedanken an das Fegefeuer geweitet haben, die zu Boden blickten wenn sie einen höheren
Herren sahen, die glanzlos waren vor Hunger, denn der größte Teil der Ernte war mal wieder abgegeben worden und das eben aus genau diesen Ängsten.
Nach einer guten Stunde Belehrung, Staunen, Historie und Respekt finden wir uns wieder auf der Straße, finden ein feines Café im Cranach-Hinterhof, Leo findet den Whiskey dort preiswert und gut,
ich finde Leo sehr verschnupft und wir finden, dass wir nach Hause fahren sollten.
Die Hundertwasserschule muss bis zum nächsten Mal auf uns warten. Die finden wir nämlich nicht auf Anhieb.
Alles zieht sich zurück. Die Farben als Erstes. Übrig bleiben Braun, Weiß und Schwarz, eine Hommage an Breughel. Die Menschen ziehen den Kopf zwischen die Schultern, der Hund bleibt hinter seinem
Ofen, falls er einen hat, die Rehe bleiben im Wald, die Kraniche sind weitergezogen, wenn sie schlau sind und einen Fuchs habe ich auch nicht gesehen.
Ich bin zu erkältet, um lange draußen rumzulaufen. Also fahren wir nach Wiesenburg, um die Wiesenburg anzusehen. Wir verbringen allerdings mehr Zeit mit der Museumskassiererin, als mit dem
Betrachten der wenigen Exponate. Sie plaudert mehr, als es zu besichtigen gibt. Wahrscheinlich ist sie froh, überhaupt eine Menschenseele zu treffen. Stundenlang muss sie im Turm hocken, ohne
Rapunzel zu sein.
Hinter der Burg erstreckt sich ein großer Park. Man ahnt, dass er sehr schön sein muss. Sehen kann man es nicht, denn er ist schneebedeckt und den Schnee kann ich nicht mehr sehen.
Das Restaurant "Remise" - ebenfalls auf dem Burggelände ist groß. Wir sind die einzigen Gäste, die sich hier aufwärmen und etwas essen. Hier sind wenigstens die Servietten grün.
Wir zuckeln über die kleinen Dörfer Richtung Bad Belzig. Der in den Prospekten angekündigte historische Stadtkern ist zwar da, aber alles, was auch nur 3 Schritte vom kleinen Zentrum entfernt
ist, schläft weiter in tiefem Grau. Nach einer halben Stunde ist mir wieder kalt. Ich würde mich ja gerne in irgendeinem hübschen Geschäft aufwärmen. Sogar ein paar nette Dinge würde ich kaufen,
wenn es denn irgendetwas gäbe, dass mich lockte. So bleibt es bei Nasenspray und Taschentüchern.
Emmis erster Tag mit dicker Erkältung. Was tun? Es ist grau und kalt. Ich fahre nach Coswig zur Apotheke, um ihr ein paar Medikamente zu besorgen und fahre dann alleine los ins benachbarte Brandenburg quer über die Dörfer. Der Himmel ist grau, die Dörfer auch, nichts, was mich visuell zum Anhalten bringt, ist ja auch schon nicht mehr Anhalt. Also fahre ich weiter die Bundesstraße 2 hoch nach Treuenbrietzen, soll ja immerhin einen historischen Stadtkern haben und der Ortsname ist immerhin witzig. Ich parke auf dem Marktplatz und anschließend 50 Cent im Geldschlitz der öffentlichen Toilette am Rathaus. Treuenbrietzen ist die Sabinchenstadt, nur weil in einer alten Moritat ein fieser Schuster das Dienstmädchen Sabinchen abmurkst. Das Stadtmarketing spricht davon, dass Treuenbrietzen mehr ist als nur das Sabinchen, ganz glauben kann ich es nicht, schließlich gibt es nicht nur den Sabinchenbrunnen, sondern auch einen Sabinchen-Friseur und gar ein Sabinchen-Taxi... Aber das andere will ich auch noch sehen. Also inspiziere ich den Ortsplan. Als erstes verschlägt es mich zur Nikolaikirche, geschlossen natürlich, sie duckt sich und überragt zugleich die umstehenden Altstadthäuser, dann wieder zurück zur Hauptstraße bis zur alten Stadtmauer, an der man entlang gehen kann und die Altstadt umrunden, die hier umgeben ist von Kleingärten, die offenbar vom Apotheker Pauckert 1868 extra für die Bürger angelegt wurden (daher heißt die Straße dann auch Pauckertring). Von überall ist der 42m hohe Wasserturm zu sehen, der 1910 gebaut wurde. Am Ende des Gartengürtels biege ich wieder ein in die Altstadtgassen, kaufe am Markt leckeres Kuchengebäck und Brötchen beim Bäcker (die Brandenburger Brötchen sind unschlagbar) und entschließe mich, nicht weiter nach Jüterbog zu fahren, sondern über Niemegk (hat auch einen historischen Kern = Rathaus + Kirche) zurück zur Ferienwohnung, um Emmi mit dem Kuchen ein wenig aufzuheitern... Aber zuvor mache ich noch einen Abstecher zum Hubertusberg mit dem Bismarckturm, was bei diesem Wetter auch eher trist ist, nur die Ziegen im Gehege heitern mich ein wenig auf.
Eberhard ist schon da - sein kleines rotes Auto ist das einzige auf dem Parkplatz. So, wie er da steht, hab ich ihn mir vorgestellt - nur größer. Er hat sich uns auch größer vorgestellt. Passt
doch! Dann können wir 3 Kleinen ja losgehen. Eis, das wir hätten auftauen müssen liegt nur auf dem Boden. Zwischen uns nicht.
Mit ihm gemeinsam wollen wir diese ausgedienten, stählernen Ungetüme ansehen, die früher zu DDR-Zeiten die Erde aufgewühlt haben und nun auf der Halbinsel des Gremminer Sees aufgebaut sind. Den
Grund des Sees, seine Ausmaße und Formen haben die Stahlriesen selbst geschaufelt. Eisblaues Wasser glättet nun die Krater des Tagebaus. Die Ufer sind gesäumt von Birken, braunen Gräsern und
weiter hinten stehen unglaublich violett leuchtende Bäume. Der Schnee fasst alles zusammen - bedeckt, umgibt, blendet, vereinheitlicht, beruhigt... So stelle ich mir Sibirien vor.
Inmitten der gleißenden Helligkeit stehen sie - wie ein extraterrestrischer Paukenschlag. Sie sind so lächerlich riesig, so unwirklich bedrohlich und das einzige, was diesen Anblick erdet, ist
der allgegenwärtige Rost und die kleinen altmodischen Hebelchen, die sich in den nun führerlosen Kabinen befinden.
Wir bestaunen die eisernen Monster, die damals unvorstellbare Krater in die Erde gefräst haben. So große "Schaufelbagger" habe ich noch nie gesehen! Wir schleichen um die Dinger herum, tasten uns
vor, suchen einen fotografischen Zugang.
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Ich zitiere mal Wikipedia:
Ursprünglich befanden sich an dieser Stelle die Werkstätten, Energieversorgungseinrichtungenund Sozialanlagen des Tagebaues Golpa-Nord.
Bis 1955 verband eine Grubenbahnlinie Bergwitz mit dem Kraftwerk Zschornewitz. Teile des aufgegebenen Bahndammes wurden später als Erschließungsstraße für den Braunkohlentagebau Golpa-Nord und
später für die Anbindung von Ferropolis genutzt. Die Grubenbahn und jetzigen Anschlussgleise für Ferropolis wurden parallel zu dieser ehemaligen Bahnlinie errichtet.
Nach dem Ende des Braunkohlebergbaus in diesem Gebiet wurden hier fünf Großgeräte in einem Freilichtmuseum zusammengeführt. Am 14. Dezember 1995 wurde „Ferropolis – Die Stadt aus Eisen“
gegründet, durch den damaligen Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt Klaus Schucht. Neben einem Eimerkettenschwenkbagger (Spitzname „Mad Max“) und einem Schaufelradbagger („Big Wheel“) findet
man hier auch zwei Absetzer („Gemini“ und „Medusa“) und einen Raupensäulenschwenkbagger („Mosquito“). Überregional bekannt wurde die "Stadt aus Eisen" im Jahr 2000 durch ein Galakonzert zur
Eröffnung des Kulturprojekts "Ferropolis", welches der griechische Komponist Mikis Theodorakis dirigierte. 2004 fanden umfangreiche Sanierungsmaßnahmen an den Großgeräten statt.
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Die ganze Szenerie wirkt ästhetisch-grotesk und unglaublich fremdartig. Ich habe das Gefühl, dass Kevin Costner jeden Augenblick aus dem See auftaucht - direkt aus dem Film "Waterworld" ist er in
das Eiswasser gesprungen. Er wird sich auf eines der Ungetüme schwingen und es mühelos in Bewegung setzen. Mit so einem Monster unter dem Hintern kann man nur gewinnen. Gewinnen gegen die
Schurken - die Erde und die Natur werden verlieren, aber Herrn Costner kann man nicht böse sein. Seine Filme haben andere Themen...
Nach einer Weile wird uns kalt und wir flüchten in die Orangerie. Ein kleines Restaurant mit ambitionierter Speisekarte, die hält, was sie verspricht. Eberhard wählt "Schnüüsch", ein Gericht aus
Norddeutschland mit Bohnen, Speck, Kartoffeln und anderen Gemüsen in Milch gekocht. Leo isst Farfalle mit Zucchini und Krabben in einer Sauce, die nach irgendeinem Gewürz schmeckt, das wir aber
nicht identifizieren können. Lecker ist das! Ich mümmele Salat aus frischer und gekochter Rote Bete mit Nüssen und Orangen. Eberhard wundert sich, dass ich davon satt werde.
So durchgewärmt folgt die zweite Runde. Ich kämpfe mit den Widrigkeiten; wenn ich die Kamera vor die Augen halte, muss ich die Sonnenbrille hochschieben. Beim Hochschieben rutscht die Kapuze
runter. Foto fertig, Sonnenbrille wieder auf, denn der Schnee blitzt durch die Sonne noch greller in die Augen. Kapuze wieder hoch, denn der Wind fegt mir um die Ohren.
Ich komme mir leicht blöd vor zwischen den beiden Männern, die diese Probleme nicht zu haben scheinen. Sie scheinen meine auch nicht zu bemerken, also beschließe ich, es nicht dramatisch zu
finden.
Nach einer weiteren Stunde, in der viel gelächelt, sich gegenseitig geknipst und geplaudert wird, mit sichtbarem Atem in der kalten Luft, zieht es uns wieder in die Orangerie. Nach dem
Mittagessen kann der Kuchen auch nicht anders als gut sein. Wir werden nicht enttäuscht.
Auf dem Parkplatz verabschieden wir uns und sind alle drei froh, dass wir uns getroffen haben.